Antidiskriminierungsgesetz / Sorgen vor Klageflut sind unbegründet
(Düsseldorf) - Bringt das geplante Antidiskriminierungsgesetz (ADG) eine Flut von Klagen gegen Arbeitgeber? Nach bisherigen Erfahrungen mit Schadenersatzprozessen aufgrund von Geschlechterdiskriminierung spricht nichts dafür. Das zeigt eine Recherche der Hans-Böckler-Stiftung in der Datenbank Juris, die Arbeitsrecht-Professorin Heide Pfarr heute auf einer Pressekonferenz mit dem SPD-Rechtsexperten Olaf Scholz in Berlin vorstellte.
Antidiskriminierungsregelungen sind nicht neu. Seit 1980 regelt Paragraph 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches Schadenersatzansprüche von diskriminierten Frauen und Männern im Arbeitsrecht. Die Regel soll so der Entwurf ADG nun auch auf Benachteiligungen aufgrund ethnischer Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, wegen Behinderung oder der sexuellen Identität ausgedehnt werden. Für die Geschlechtsdiskriminierung hingegen werden nur Nuancen neu geregelt.
Die Juris-Recherche zeigt: Ganze 112 Prozesse wurden dort seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vor einem Viertel Jahrhundert in diesem Zusammenhang veröffentlicht. Von den 112 Klagen zum Paragraph 611a waren 54 erfolgreich, davon 43 von Frauen. Zum Vergleich: Insgesamt sind mehr als 50.000 Arbeitsrechtsfälle in diesem Zeitraum registriert. Heide Pfarr: Natürlich gab es Klagen und auf Grund des neuen ADG wird es auch welche geben. Der Gesetzgeber sollte auch kein Gesetz machen, auf das sich niemand berufen kann. Aber: von einer drohenden Klageflut könne keine Rede sein, so die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Arbeitgeberverbände sehen hingegen Gefahren in der vermeintlich neuen Beweislastumkehr: Sie könnten sich gegen unberechtigte Vorwürfe geldgieriger Kläger nicht wehren, wenn diese sich auf Diskriminierung beriefen. Fakt ist jedoch: die Beweisregel bleibt auch im ADG dieselbe wie bereits seit 25 Jahren.
Beispiel: Wenn eine Bewerberin um einen Arbeitsplatz Tatsachen glaubhaft macht, die eine Diskriminierung vermuten lassen, muss der Arbeitgeber beweisen, dass es für seine Entscheidung sachliche Gründe gab. Nur wenn er das nicht kann, wird er zu Schadensersatz verurteilt. Tritt das ADG in Kraft, hätte auch ein Behinderter, ein Homosexueller, ein Migrant oder ein Moslem dieses Recht. Heide Pfarr: Dass bloße Behauptungen zur Beweislastumkehr führen und Arbeitgeber damit abgezockt werden können, ist durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in den letzten 25 Jahren widerlegt worden. Wieso sollten die Gerichte nicht auch künftig vernünftig und praktikabel entscheiden?
Weitere Auffälligkeit bei der Juris-Recherche: Frauen haben vor allem in den ersten Jahren nach Einführung des Paragraph 611a versucht, vor Gericht ihre Position zu verbessern. Männer dagegen klagten nach 1995 häufiger, als vom Europäischen Gerichtshof die Bremer Frauen-Quote gekippt wurde. Nach dem Urteil von 1995 scheinen ausgerechnet die Männer Chancen auf Schadenersatz entdeckt zu haben, interpretiert Pfarr die Daten.
Seit 2002 spielt der Paragraph 611a nur noch eine geringe Rolle mit insgesamt acht Verfahren in drei Jahren. Heide Pfarr: Recht kann gesellschaftlichen Bewusstseinswandel fördern. Die Schwangerschaftsfrage im Bewerbungsgespräch leistet sich kaum noch ein Arbeitgeber.
Quelle und Kontaktadresse:
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