Amnesty: EU muss Flüchtlinge im Mittelmeer retten / Amnesty-Bericht dokumentiert: Untätigkeit Europas hat Zahl der Toten stark steigen lassen / Çalışkan: EU-Gipfel muss sofort umfassende Seenotrettung einrichten
(Berlin) - Vor dem EU-Sondergipfel fordert Amnesty International umfassende Maßnahmen um das Massensterben im Mittelmeer zu beenden. In dem heute veröffentlichten Bericht Europe's sinking shame: The failure to save refugees and migrants at sea dokumentiert die Menschenrechtsorganisation Zeugenaussagen von Überlebenden der Schiffsunglücke der letzten Monate und fordert den Aufbau einer umfassenden europäischen Seenotrettung im Mittelmeer.
"Angela Merkel und die anderen Regierungschefs der EU müssen auf ihrem Gipfel eine umfassende Seenotrettung im Mittelmeer einrichten. Nur so kann der vorhersehbare Tod unzähliger Menschen verhindert werden. Der Zehn-Punkte-Plan der Außen- und Innenminister vom Montag leistet das nicht. Sie dürfen keine weitere Zeit verstreichen lassen. Es ist bitter genug, dass so viele Menschen sterben mussten, bevor die EU-Regierungen ihr Wegschauen beenden", fordert Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "Die italienische Marine hat mit 'Mare Nostrum' Erfahrungen gesammelt und gute Arbeit geleistet. Sie sollte ihre humanitäre Operation sofort wieder aufnehmen, bis eine umfassende EU-Seenotrettung steht. Diesmal mit finanzieller und logistischer Unterstützung der anderen EU-Staaten."
Um die Forderung zu unterstreichen, werden Amnesty-Aktivistinnen und -Aktivisten am Donnerstag eingehüllt in Seenotrettungsdecken vor dem Bundeskanzleramt demonstrieren.
Der Amnesty-Bericht zeigt die dramatischen Folgen der Entscheidung vom vergangenen Herbst, "Mare Nostrum" nicht fortzuführen. Wenn sich die Zahl der Toten des letzten Schiffsunglücks vom Wochenende bestätigt, dann sind 2015 schon mindestens 1.700 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer gestorben, hundertmal mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres.
"Die Zahlen zerstören auch den Mythos, 'Mare Nostrum' sei ein 'Pull-Faktor'. Seit dem Ende der Operation haben deutlich mehr Migranten und Flüchtlinge versucht, Europa zu erreichen, nicht weniger", stellt Çalışkan fest. Nach dem Ende von "Mare Nostrum" beschlossen die EU-Regierungen die Operation Triton. Triton ist aber keine Seenotrettungsoperation. Während die "Mare Nostrum"-Schiffe mindestens 100 Seemeilen südlich von Lampedusa operierten, ist Triton auf ein Gebiet von 30 Seemeilen um die italienische und maltesische Küste beschränkt. Weit weg von dem Gebiet nahe der lybischen Küste, in dem die meisten Flüchtlingsboote in Seenot geraten. Triton ist darauf ausgerichtet, die EU-Grenzen zu kontrollieren, für eine umfassende Seenotrettung ist die Operation gar nicht ausgerüstet.
Neben der Küstenwache waren es deshalb nach dem Ende von "Mare Nostrum" immer wieder Handelsschiffe, die versuchten, Menschen im Mittelmeer zu retten. Diese sind aber weder dafür ausgerüstet noch ist die Besatzung dafür ausgebildet. Massimiliano Lauretti, ein Kapitän der italienischen Marine, sagte Amnesty, mit den Erfahrungen von Mare Nostrum könne eine humanitäre Mission in wenigen Tagen wieder aufgenommen werden. "Die italienische Marine steht bereit. Wir haben gut eingespielte Abläufe. Wir haben Erfahrung aufgebaut. Wenn wir beauftragt werden, können wir eine humanitäre Operation in sehr kurzer Zeit wieder starten, in etwa 48 bis 72 Stunden."
"Es war ein zynisches Kalkül zu glauben, Nichtstun würde verzweifelte Menschen davon abhalten, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen. Unser Bericht zeigt, dass diese Politik katastrophale Konsequenzen hatte. Unser Bericht zeigt aber auch, dass die EU schnell handeln kann, wenn sie den politischen Willen dazu hat. Diese Chance müssen morgen die EU-Regierungschefs ergreifen", fordert Çalışkan.
Quelle und Kontaktadresse:
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