Pressemitteilung |

Alt-Arzneimittel: AgV reicht Beschwerde bei EU-Kommission ein

(Bonn)- Gravierende Versäumnisse der Bundesregierung bei der Kontrolle des deutschen Arzneimittelmarkts haben die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) bewogen, eine Beschwerde bei der EU-Kommission einzureichen. Das kürzlich novellierte deutsche Arzneimittelgesetz verstößt gegen europäisches Recht, so die Auffassung der AgV, die sie in einem detailliert begründeten Beschwerdeschreiben am heutigen Montag der EU-Kommission darlegt.

Fast 20.000 so genannte Alt-Arzneimittel dürfen in Deutschland nach wie vor vermarktet werden, ohne dass ihre Hersteller die Sicherheit oder die Wirksamkeit ihrer Präparate beim zuständigen Bundesinstitut nachgewiesen haben und von dort eine entsprechende Zulassung erhalten haben. Statt mit diesem unhaltbaren Zustand endlich aufzuräumen und Verbraucher vor unkontrollierten Alt-Medikamenten zu schützen, ist auch die rot-grüne Bundesregierung vor der Pharmalobby eingeknickt. Mit der Beschwerde in Brüssel will die AgV nun doch noch die Einhaltung des nötigen Patientenschutzes erzwingen.

Eine Bereinigung des deutschen Medikamentenmarkts ist seit Jahrzehnten überfällig und seit 1990 zudem europarechtlich vorgeschrieben. Die EU-Kommission hatte bereits vor zwei Jahren Deutschland aufgefordert, sich endlich an die entsprechenden europäischen Richtlinien zu halten. Mit der kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Änderung des Arzneimittelgesetzes sollte die Umsetzung der EU-Vorschriften nachgeholt werden. Doch auch dieses Änderungsgesetz beseitigt die bestehenden Mängel nicht, stellt die AgV in der siebenseitigen Begründung ihrer Beschwerde fest. Die Verbraucherverbände listen Verstöße gegen EU-Bestimmungen in sechs Einzelpunkten auf und erheben zudem vier weitere grundsätzliche Einwände wegen "Nichtbeachtung grundsätzlicher Erfordernisse eines EU-konformen Zulassungsverfahrens", so die Formulierung im Beschwerdeschreiben.

In Deutschland dürfen Medikamente, die bereits vor Inkrafttreten des deutschen Arzneimittelgesetzes von 1976 auf dem Markt waren, seit nunmehr einem Vierteljahrhundert weiterverkauft werden, obwohl weder ihre Wirksamkeit noch ihre Unbedenklichkeit jemals ordnungsgemäß nach deutschem und europäischem Recht nachgewiesen wurde. Immer noch nutzt die Pharmaindustrie diese Gesetzeslücke für fast 20.000 Präparate. Auf Druck der Pharmalobby wurde die ursprünglich vorgesehene Regelung, die aus Verbrauchersicht zumindest einige Fortschritte gebracht hätte, wieder zugunsten der Hersteller von Altpräparaten verändert.

Demnach kann das zuständige Bundesamt diese Präparate weiterhin zulassen. Das gemäß der Gesetzesnovelle in der Regel anzuwendende Verfahren sieht lediglich eine Auflage an die Hersteller vor, Unterlagen in einer geeigneten Frist nachzureichen (Auflagenverfahren). Sagt der Produzent dies zu, kann er seine Alt-Medikamente weiterhin verkaufen - ohne Zulassung und ohne entsprechenden Nachweis einer ausreichenden klinischen und pharmakologischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.

Ein weiterer Skandal der deutschen Regelung: Die Patienten werden nur sehr unvollständig informiert. Wer Pillen schluckt, die lediglich "nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften im Verkehr sind", kann diesen Hinweis zwar in manchen Fällen auf der Packungsbeilage nachlesen. Sobald der Pharmahersteller seine Unterlagen jedoch beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingereicht hat und das o. g. Prüfverfahren aufgenommen wird, kann der Produzent den Warnhinweis weglassen – auch wenn der Ausgang der Prüfung noch längst nicht feststeht. Hinzu kommt, dass das Verfahren Jahre dauern kann, weil die Bundesbehörde offenbar überfordert ist. Künftig muss sichergestellt werden, dass das Institut die von der EU vorgegebenen Fristen bei der Bearbeitung von Anträgen einhält. Patienten dürfen nicht länger für dumm verkauft und durch Anbieterinteressen bevormundet werden, urteilt die AgV.

Quelle und Kontaktadresse:
AGV

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