Algerien / RSF-Korrespondent drohen vier Jahre Haft
(Berlin) - Ein Berufungsgericht in Algerien entscheidet am Dienstag (15.9.), ob der Korrespondent von Reporter ohne Grenzen (RSF), Khaled Drareni, für bis zu vier Jahre ins Gefängnis muss oder ob er freikommt. Am 10. August war er in erster Instanz zu drei Jahren Haft verurteilt worden, weil er mit seiner Berichterstattung über die sogenannten Hirak-Proteste zu Massenaufläufen aufgerufen und die nationale Einheit gefährdet habe. RSF fordert, alle strafrechtlichen Vorwürfe gegen Drareni fallenzulassen.
"Alles andere als ein Freispruch wäre eine Schande für den Rechtsstaat in Algerien", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Zu diesem Prozess hätte es erst gar nicht kommen dürfen. Khaled Drareni sitzt seit Monaten dafür in Untersuchungshaft, dass er seine Arbeit als Journalist getan hat. An diesem Urteil wird sich zeigen, ob es der algerischen Justiz um Gerechtigkeit geht oder um die Ausschaltung eines kritischen Beobachters."
Bei der Berufungsverhandlung am vergangenen Dienstag (8.9.) bekräftigte die Staatsanwaltschaft ihre Forderung nach vier Jahren Haft für Drareni, hinter der das Urteil in erster Instanz um ein Jahr zurückgeblieben war. Die Berufungsverhandlung fand fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil das Gericht ohne Vorankündigung die Zugangsvoraussetzungen verschärft hatte. Nur wenige Journalistinnen und Journalisten wurden in den Gerichtssaal gelassen. Viele weitere wurden vor den Türen abgewiesen, mehrere von Justizbeamten mit Wasser bespritzt, um sie zu vertreiben.
Prominenter Journalist - und Zielscheibe von Schikanen
Khaled Drareni ist Gründer und Leiter des algerischen Nachrichtenportals Casbah Tribune sowie Korrespondent für RSF und für den französischen Auslandssender TV5 Monde. Seinem Twitter-Account folgen fast 148.000 Menschen. Seit im Februar 2019 in Algerien Massenproteste für politische und wirtschaftliche Reformen begannen, hat er insbesondere in den sozialen Medien regelmäßig darüber berichtet. Drareni gehört deshalb zu den bevorzugten Zielen der "elektronischen Fliegen", einer Troll-Armee des algerischen Regimes, die kritische Medienschaffende im Land mit Beschimpfungen, Verleumdungen und persönlichen Angriffen überzieht.
Schon am 7. März war Drareni in Algier festgenommen worden, als er das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen eine Demonstration filmte. Nach dreitägiger Anhörung entschied die Staatsanwaltschaft am 10. März, ihn anzuklagen und unter Auflagen auf freiem Fuß zu lassen. Als seine Anwälte gegen diese Entscheidung Einspruch einlegten, hob eine Anklagekammer die Auflagen auf und erließ stattdessen Haftbefehl. Seit dem 29. März sitzt Drareni in Untersuchungshaft.
Breite Solidarisierung im In- und Ausland
Mehr als 200 algerische Journalistinnen und Journalisten protestierten schon kurz nach Drarenis Verhaftung mit einer öffentlichen Erklärung gegen das Vorgehen der Justiz. Inzwischen hat sich ein internationales Unterstützungskomitee gebildet, dem neben prominenten Persönlichkeiten aus Algerien und anderen Ländern auch algerische und internationale Nichtregierungsorganisationen angehören, darunter beispielsweise RSF, Human Rights Watch, Article 19 und das Committee to Protect Journalists.
Seit 2019 sind in Algerien immer wieder Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Berichterstattung über die Hirak-Proteste verhaftet, verhört oder insbesondere in den sozialen Medien drangsaliert worden. Zu den jüngsten Beispielen gehören Moncef Aït Kaci vom französischen Nachrichtensender France 24 sowie sein Kameramann und Producer Ramdane Rahmouni, die Ende Juli kurzzeitig verhaftet wurden.
Algerien steht auf Platz 146 von 180 Staaten auf der Rangliste der Pressefreiheit.
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