Aktuelle Auswertung des WSI-Tarifarchivs / 55 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland bekommen Weihnachtsgeld
(Düsseldorf) - Im November können sich viele Beschäftigte wieder über Weihnachtsgeld freuen. Mit 55 Prozent erhalten etwas mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer-innen und Arbeitnehmer in Deutschland diese Jahressonderzahlung. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Online-Befragung des Internetportals www.lohnspiegel.de, das vom WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung betreut wird. Mehr als 90.000 Beschäftigte haben sich zwischen Oktober 2017 und Oktober 2018 an der Befragung beteiligt.
Die Chance, Weihnachtsgeld zu erhalten, ist dabei unter den verschiedenen Beschäftigtengruppen sehr ungleich verteilt. "Entscheidend ist vor allem die Frage", so der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten, "ob die Beschäftigten in einem tarifgebundenen Unternehmen arbeiten oder nicht." Während 77 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben mit Tarifvertrag Weihnachtsgeld bekommen, sind es in Betrieben ohne Tarifvertrag lediglich 42 Prozent.
"Hinzu kommt", so Schulten, "dass in tarifgebundenen Betrieben die Beschäftigten in der Regel durch den Tarifvertrag einen rechtlichen Anspruch auf Weihnachtsgeld haben. In nicht-tarifgebundenen Betrieben wird das Weihnachtsgeld hingegen oft nur als freiwillige Zahlung geleistet, die vom Unternehmen unter bestimmten Bedingungen wieder eingestellt werden kann."
Wenn der Tarifvertrag fehlt, hat das für Beschäftigte damit doppelte Nachteile bei der Bezahlung: Zum einen gibt es in der Regel schon während des Jahres weniger Lohn und Gehalt, zum anderen knausert der Chef oft auch noch beim Weihnachtsgeld. Die WSI-Forscher beobachten deshalb den Rückgang der Tarifbindung mit Sorge. Zuletzt arbeiteten nur noch 57 Prozent (West) bzw. 44 Prozent (Ost) der Beschäftigten in einem Betrieb mit Tarifvertrag. "Viele Arbeitgeber ohne Tarifbindung erklären zwar in Umfragen, sich am Tarifvertrag zu orientieren. Aber beim Weihnachtsgeld tun das offensichtlich nicht viele", erklärt Schulten.
Neben der Tarifbindung lassen sich eine Reihe weiterer Merkmale identifizieren, die die Chancen auf Weihnachtsgeld erhöhen (siehe auch die Abbildung in der pdf-Version dieser Pressemitteilung; Link unten):
West/Ost: Nach wie vor gibt es bedeutsame Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland bekommen 56 Prozent, in Ostdeutschland nur 42 Prozent der Beschäftigten Weihnachtsgeld. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Tarifbindung in Ostdeutschland deutlich niedriger ist als im Westen.
Männer/Frauen: Frauen erhalten seltener Weihnachtsgeld als Männer. Bei den Frauen sind es 49 Prozent, bei den Männern dagegen 57 Prozent. Auch hier spielt die Tarifbindung eine wichtige Rolle: Frauen arbeiten häufiger als Männer in Branchen wie z.B. dem Einzelhandel, wo die Tarifbindung in den letzten Jahren besonders stark zurückgegangen ist.
Vollzeit/Teilzeit: Bei Vollzeitbeschäftigten ist der Erhalt von Weihnachtsgeld mit 56 Prozent deutlich wahrscheinlicher als bei Teilzeitbeschäftigten, von denen nur 45 Prozent eine entsprechende Sonderzahlung erhalten.
Insgesamt sehen in den meisten Wirtschaftszweigen die geltenden Tarifverträge ein Weihnachtsgeld vor. Dies zeigt die aktuelle Auswertung des WSI-Tarifarchivs von 23 großen Branchen. Die große Bedeutung der Tarifbindung für das Weihnachtsgeld wird auch durch eine aktuelle Auswertung des Statistischen Bundesamtes bestätigt. Auf anderer Datenbasis kamen die Wiesbadener Statistiker kürzlich zu dem Ergebnis, dass sogar 87 Prozent der Beschäftigten mit Tarifvertrag Anspruch auf Weihnachtsgeld oder einen Bonus zum Jahresende haben.
Das Weihnachtsgeld wird überwiegend als fester Prozentsatz vom Monatseinkommen berechnet (siehe die ausführliche Tabelle in der pdf-Version). Die in den einzelnen Tarifverträgen festgelegten Prozentsätze haben sich im Vergleich zu den Vorjahren kaum verändert. In den Branchen, in denen Lohnerhöhungen vereinbart wurden, sind auch die tariflichen Weihnachtsgelder entsprechend gestiegen.
Ein vergleichsweise hohes Weihnachtsgeld erhalten unter anderem die Beschäftigten im Bankgewerbe, in der Süßwarenindustrie, in der Chemieindustrie, in der Druckindustrie, in der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie sowie in der Textilindustrie (Westfalen), bei denen die Jahressonderzahlung zwischen 95 bis 100 Prozent eines Monatseinkommens liegt. Es folgen unter anderem die Bereiche Versicherungen (80 Prozent), Einzelhandel (West: vorwiegend 62,5 Prozent) sowie Metallindustrie (überwiegend 55 Prozent). Im öffentlichen Dienst (Gemeinden, West) beträgt das Weihnachtsgeld je nach Vergütungsgruppe zwischen 52 und 80 Prozent in Westdeutschland und zwischen 39 und 60 Prozent in Ostdeutschland.
Unter den großen Wirtschaftszweigen sind Tarifbranchen ohne Weihnachtsgeld die absolute Ausnahme. Hierzu gehört aktuell das Gebäudereinigerhandwerk, in der die Forderung nach Einführung eines Weihnachtsgeldes aktuell auf der tarifpolitischen Agenda steht. Bereits im Frühjahr dieses Jahres war es der Gewerkschaft IG BAU gelungen, die Einführung eines Weihnachtgeldes im ostdeutschen Bauhauptgewerbe durchzusetzen.
Das Internetportal www.lohnspiegel.de bietet Beschäftigten die Möglichkeit, ihren eigenen Verdienst mit den in ihrem Beruf üblichen Löhnen und Gehältern zu vergleichen. Die Auswertung berücksichtigt zahlreiche Merkmale, wie die eigene Berufserfahrung, die Größe des Betriebes und den Beschäftigungsort. Das Angebot ist kostenlos und ohne Registrierung nutzbar.
Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung
Rainer Jung, Leiter, Pressestelle
Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf
Telefon: (0211) 77780, Fax: (0211) 7778120
Weitere Pressemitteilungen dieses Verbands
- EU-Mindestlohnrichtlinie gibt Referenz für Mindestlohn deutlich über 14 Euro – in Deutschland droht oberflächliche Umsetzung
- IMK-Konjunkturindikator bleibt auf „gelb-rot“ trotz leichten Anstiegs des Rezessionsrisikos
- Fast 38 Prozent der Neuanstellungen befristet, bei jungen Beschäftigten fast die Hälfte – Daten für alle Städte und Landkreise