Aktuelle Auswertung des WSI-Tarifarchivs
(Düsseldorf) - Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen: Zwischen 325 und 1.580 Euro im Monat - Erhebliche Unterschiede nach Branche und Region - Beträge meist deutlich oberhalb der Mindestausbildungsvergütung
Die in Tarifverträgen vereinbarten Ausbildungsvergütungen weisen seit jeher je nach Branche und Region sehr große Unterschiede auf. Die Spannbreite reicht aktuell von 325 Euro pro Monat, die Auszubildende im thüringischen Friseurhandwerk im ersten Ausbildungsjahr erhalten, bis zu 1.580 Euro im westdeutschen Bauhauptgewerbe, mit denen Auszubildende im vierten Ausbildungsjahr vergütet werden (siehe auch Abbildungen 1 und 2 sowie Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Auswertung von 20 ausgewählten Tarifbranchen, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres 2020 vorlegt.
Große Unterschiede bei den tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen zeigen sich bereits im ersten Ausbildungsjahr: Demnach liegen die Vergütungen in fünf großen Tarifbranchen oberhalb von 1.000 Euro pro Monat. Hierzu gehört der Öffentliche Dienst (Bund und Gemeinden), der sich zuletzt verstärkt darum bemüht hat, durch höhere Vergütungen die Ausbildungsbedingungen attraktiver zu gestalten, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern. Dies gilt insbesondere für die Pflegeberufe, die im ersten Ausbildungsjahr bei Bund und Gemeinden 1.141 Euro und bei den Ländern 1.161 Euro pro Monat erhalten. In den übrigen Bereichen des Öffentlichen Dienstes variieren die Ausbildungsvergütungen zwischen 1.018 Euro (Bund und Gemeinden) und 1.037 Euro (Länder). In einer ähnlichen Größenordnung bewegen sich die Ausbildungsvergütungen im Versicherungsgewerbe (1.040 Euro) und dem Bankgewerbe (1.036 Euro) sowie in der Metall- und Elektroindustrie und der Chemischen Industrie, wobei hier zwischen den regionalen Tarifgebieten (insbesondere zwischen Ost- und Westdeutschland) noch leichte Unterschiede bestehen: So zahlt die Metall- und Elektroindustrie ihren Auszubildenden in Baden-Württemberg 1.037 Euro gegenüber 1.007 Euro in Sachsen. In der Chemischen Industrie fallen die Unterschiede zwischen 1.027 Euro im Tarifgebiet Nordrhein und 1.018 Euro in Ostdeutschland nur noch sehr gering aus.
Während in weiteren drei der hier untersuchten 20 Tarifbereiche (Deutsche Bahn AG, Druckindustrie und Textilindustrie in Baden-Württemberg) die Ausbildungsvergütungen zwischen 900 und 1.000 Euro liegen, bewegen sie sich in der Mehrzahl der Tarifvereinbarungen zwischen 700 und 900 Euro. Lediglich in vier Branchen (Landwirtschaft, Bäckerhandwerk, Floristik und Friseurhandwerk) finden sich noch tarifvertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütungen von unter 700 Euro. Das Schlusslicht bilden die Floristik in Ostdeutschland und das Friseurhandwerk in Thüringen. In diesen beiden kleinen Tarifbereichen liegen die Ausbildungsvergütungen mit 425 Euro bzw. 325 Euro noch deutlich unter der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung von 515 Euro im Monat, die seit dem 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (siehe auch Abbildung 3 in der pdf-Version).
Ähnlich große Unterschiede zeigen sich auch in den weiteren Ausbildungsjahren. Im dritten Ausbildungsjahr variieren die Ausbildungsvergütungen zwischen 1.475 Euro im westdeutschen Bauhauptgewerbe und 465 Euro im thüringischen Friseurhandwerk. In etwa drei Viertel aller hier untersuchten Tarifbranchen wird dabei im dritten Ausbildungsjahr die 1.000-Euro-Schwelle überschritten. Nur in den ostdeutschen Tarifgebieten der Floristik (525 Euro) und des Friseurhandwerks (Thüringen: 465 Euro) bleiben die Vergütungen weiterhin unterhalb der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung, die im dritten Ausbildungsjahr bei 695 Euro liegt.
Bundeseinheitliche Tarifregelungen zu den Ausbildungsvergütungen gibt es nur in wenigen Branchen, wie z. B. bei Banken und Versicherungen, dem öffentlichen Dienst, der Druckindustrie, der Deutschen Bahn AG oder dem Bäckerhandwerk. Alle anderen Tarifbereiche weisen zum Teil beträchtliche regionale Unterschiede auf, wobei neben einem West-Ost- mitunter auch ein Süd-Nord-Gefälle zu beobachten ist.
- "Mindestausbildungsvergütung vor allem da nötig, wo Tarifverträge fehlen" -
Nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG: § 17) haben alle Auszubildenden einen Anspruch auf eine "angemessene Vergütung." Dabei räumt das Gesetz den Tarifvertragsparteien einen weitgehenden Gestaltungsspielraum ein. Besteht in einer Branche ein Tarifvertrag, so müssen sich auch nicht-tarifgebundene Unternehmen an diesem orientieren und dürfen von der tarifvertraglich vereinbarten Ausbildungsvergütung nur bis maximal 20 Prozent nach unten abweichen, wobei zugleich die Mindestausbildungsvergütung einzuhalten ist.
Für tarifgebundene Unternehmen gilt der Tarifvorrang im Berufsbildungsgesetz auch gegenüber der Mindestausbildungsvergütung, so dass die Tarifvertragsparteien theoretisch die Möglichkeit haben, diese zu unterschreiten. In der Praxis liegen jedoch die tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen in den allermeisten Fällen deutlich oberhalb des Azubi-Mindestlohns, vor allem in großen Branchen. Mit dem Friseurhandwerk und der Floristik existieren derzeit lediglich zwei Branchen, in denen die Ausbildungsvergütungen seit jeher sehr niedrig sind und bei denen die Gewerkschaften insbesondere in Ostdeutschland oft große Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Tarifabschluss mit den Arbeitgebern vereinbaren zu können.
Nach Ansicht des Leiters des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten, "funktioniert das Tarifvertragssystem bei der Festlegung der Ausbildungsvergütungen in großen Teilen der Wirtschaft recht gut. Die Mindestausbildungsvergütung ist vor allem dort nötig, wo keine Tarifverträge existieren. Allerdings besteht beim Niveau durchaus noch Luft nach oben. Dies gilt auch für einige Tarifbranchen. Gerade in den traditionellen Niedriglohnsektoren müssen sich die Unternehmen überlegen, wie sie die Arbeit aufwerten können, um auch zukünftig noch genügend Auszubildende zu gewinnen. Hierbei sollte die Corona-Krise nicht als Ausrede verwendet werden, um notwendige Anpassungen weiter hinauszuschieben."
Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung
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