Pressemitteilung | Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN)

Ärzte am Scheideweg / Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen beklagen Identitätskrise des Berufsstandes / Neujahrsempfang im Zeichen der Solidarität mit Berliner Demonstration / Scharfe Kritik an Arzneimittelgesetzgebung

(Hannover) –- „Noch nie in der jüngeren Geschichte der deutschen Ärzteschaft hat sich in unserem Berufsstand so viel Unmut, Frust, Wut und Enttäuschung aufgebaut, wie in den zurückliegenden Wochen und Monaten. Deshalb ist es richtig, dass die Kolleginnen und Kollegen aus Kliniken und Praxen sich nicht länger zurückhalten, sondern ihre Anliegen in machtvollen Demonstrationen auf die Straßen tragen." – Mit dieser Solidaritätsadresse an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des heutigen (18. Januar 2006) „Tages der Ärzte" in Berlin haben Spitzenvertreter der niedersächsischen Ärzteschaft beim traditionellen Neujahrsempfang der Ärztekammer (ÄKN) und der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) im Ärztehaus Hannover auf die explosive Lage unter den Medizinern aufmerksam gemacht. Angesichts von Unterfinanzierung und Überbürokratisierung, unbezahlten Überstunden, sinkenden Gehältern und Dauereinsätzen in den Kliniken sowie Honorarverfall und Regressen in den ambulanten Praxen falle es zunehmend schwerer, den ethischen Grundlagen des Berufes zu genügen. Im ärztlichen Gelöbnis heißt es: „Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein." Das, so ÄKN-Präsident Professor Dr. med. Heyo Eckel und der KVN-Vorstandsvorsitzende Eberhard Gramsch übereinstimmend, setze Rahmenbedingungen voraus, die wir zur Zeit einfach nicht vorfinden.

Beide schließen daher nicht aus, dass Aktivitäten dieser Art auch künftig zum ärztlichen Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit gehören. Sie machten ferner deutlich, dass die Geduld der Kolleginnen und Kollegen „schlicht zu Ende" sei. Nach Jahren passiver Duldung und stiller Resignation, die auch Folge kollektiver Motivationsappelle an Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl und Selbstlosigkeit waren, „ist den meisten von uns jetzt der Kragen geplatzt. Unser Ziel ist es, wieder mehr Freude an der Arbeit auf existenzsichernder beruflicher Grundlage zu haben und den Patienten eine qualitativ gute, moderne Medizin anzubieten", sagten Eckel und Gramsch. Der stellvertretenden Vorsitzende der KVN, Dr. med. Volker Steitz und die ÄKN-Vizepräsidentin Dr. med. Cornelia Goesmann, unterstrichen durch ihre zeitgleiche Teilnahme an der Demonstration in Berlin die Solidarität der beiden Standesorganisationen mit dem Ärztprotest.

Der KVN-Vorstandsvorsitzende Eberhard Gramsch übte scharfe Kritik an der geplanten Bonus-Malus-Regelung für Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung von Arzneimitteln. Damit, so Gramsch wörtlich, „verkommt die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu einem Provisionswettlauf.“ Die große Gefahr für die Patienten bestehe darin, dass der festgelegte Therapiebedarf für Versicherte im Laufe der Zeit immer weiter abgesenkt werde. „Wir werden das AVWG (Arzneimittel-Verordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz) mit aller Macht bekämpfen.“

Zugleich bot Gramsch für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens allen Vertragspartnern die Hand. Eine Hauptaufgabe liege darin, die drohende Unterversorgung mit Ärzten in den nächsten Jahren abzuwenden. Frühzeitig müssten schon in Studium und Ausbildung die Nachwuchsärzte in die Allgemeinmedizin geführt werden. Voraussetzung dafür sei aber „die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen“.

Die Grundlage für eine funktionierende vertragsärztliche Versorgung sah Gramsch weiter in der „kollektivvertraglichen Basis der Versorgungssteuerung“. Dies schließe „Integrationsmodelle, die diesen Namen verdienen“ mit ein. Er erlebe eine „selbstbewußte und vitale KVN trotz mancher Verunsicherung“ resümierte Gramsch und forderte: „Nutzen wir jetzt die Chance für Veränderungen.“

Die Standesvertreter versprachen auf dem Empfang, auch künftig eine leistungsstarke ambulante und klinische Versorgung mit motivierten Ärztinnen und Ärzten zu gewährleisten. Dafür bieten beide Organisationen umfassendes Können und Wissen, Jahrzehnte lange Erfahrung und vielfältige Kompetenzen in struktur- und qualitätspolitischer Hinsicht an. Ein Gesundheitsversorgungssystem, in dem sich die Ärzteschaft als zentrale Leistungsträgerin in einer Identitätskrise befinde, nutze hingegen niemandem, am wenigsten den Patienten.

Quelle und Kontaktadresse:
Ärztekammer Niedersachsen Rolf Heyde, Pressesprecher Berliner Allee 20, 30175 Hannover Telefon: (0511) 38002, Telefax: (0511) 3802240

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