Abbau von Kündigungsschutz mit Hoffnung auf weniger Arbeitslosigkeit bleibt ein riskantes Spiel / Institut Arbeit und Technik nennt Fakten aus empirischen Untersuchungen zum Kündigungsschutz in Deutschland und Europa
(Gelsenkirchen) - Dass Arbeitslosigkeit durch den Abbau des Kündigungsschutzes überwunden werden könnte, ist statistisch nicht belegbar. Wie PD Dr. Matthias Knuth, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts Arbeit und Technik/ Wissenschaftszentrum NRW (IAT/Gelsenkirchen) kritisiert, gründet die politische Debatte kaum auf Tatsachen aus der Praxis des Kündigungsschutzes. Das Wenige, was in Deutschland an empirischen Untersuchungen vorliegt, wird in dieser Debatte nicht zur Kenntnis genommen.
Eine repräsentative Infratest-Befragung über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Jahre 2000 hat ergeben: 15 Prozent der Arbeitgeber-Kündigungen erfolgen verhaltens- oder personenbedingt, 85 Prozent betriebsbedingt. 90 Prozent bleiben ohne Widerspruch der Interessenvertretung, sei es weil kein Betriebs- oder Personalrat existiert, sei es, weil auf Widerspruch verzichtet wird. Nur 11 Prozent der Kündigungen werden mit Kündigungsschutzklage beantwortet (8 Prozent der betriebsbedingten, 12 Prozent der personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen). Nur in 15 Prozent der Arbeitgeber-Kündigungen wurden Abfindungen gezahlt (selbst bei Kündigungsschutzklage nur in 50 Prozent der Fälle). Schlussfolgerung: Die Bezeichnung Kündigungsschutz ist irreführend und erweckt falsche Erwartungen oder Ängste bei Arbeitnehmern wie Arbeitgebern. Die deutsche Form der Regulierung müsste korrekter Entlassungsordnung heißen, so der Arbeitsmarktexperte Knuth.
Eine IAT-Untersuchung zur langfristigen Entwicklung der Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland zeigt: Insbesondere in der zweiten Hälfte der 80er Jahre hat die Stabilität der Beschäftigung in Kleinbetrieben erheblich zugenommen, obwohl der Kündigungsschutz nicht verschärft wurde. Im Gegenteil, dieses fand unmittelbar nach der Erleichterung befristeter Arbeitsverträge durch das erste Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 statt. Knuth zieht daraus den Schluss: Stabile Beschäftigungsverhältnisse sind im Interesse der Betriebe. Die Entlassungsordnung schützt Arbeitgeber vor übereilten Reaktionen, gibt einen Verfahrensrahmen vor und erzeugt eine gewisse Legitimität.
Nach dem neuesten OECD-Bericht Beschäftigungsaussichten 2004 liegt Deutschland im Vergleich der 15 alten EU-Länder vor der Erweiterung hinsichtlich des gesetzlichen Schutzes unbefristeter Arbeitsverhältnisse auf Platz 4, hinter beschäftigungspolitisch vergleichsweise erfolgreichen Ländern wie Schweden und die Niederlande. In der Gesamtwertung, einschließlich der Regelungen für Befristungen und Arbeitnehmerüberlassung, von der OECD nach zwei unterschiedlichen Methoden berechnet, liegt Deutschland sogar erst auf Platz 5 oder 6.
Es kann im Vergleich der OECD-Länder als statistisch gesichert gelten, dass eine Senkung des Kündigungsschutzes den Zufluss aus Beschäftigung in Arbeitslosigkeit erhöht. Nicht gesichert ist dagegen der umgekehrte Zusammenhang, dass der Abfluss aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung ebenfalls erhöht würde. Ein Abbau von Kündigungsschutz mit der Hoffnung auf niedrigere Arbeitslosigkeit wäre also ein riskantes Spiel.
Unter den Ländern mit stärkerem gesetzlichem Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse befinden sich durchaus auch solche, die beschäftigungspolitisch erfolgreicher sind als wir. Zwischen dem gesetzlichen Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen und dem Beschäftigungserfolg gibt es keinen statistisch gesicherten Zusammenhang: Zwar haben Länder mit geringerem Bestandsschutz etwas höhere Beschäftigungsraten (mit mittlerer statistischer Sicherheit), aber es gibt keine statistische Sicherheit für die Aussicht auf geringere Arbeitslosenquoten.
Insofern kann es nur als demagogisch bezeichnet werden, wenn ein Abbau von beschäftigungssichernden Regulierungen mit angeblicher Gerechtigkeit gegenüber den Arbeitslosen begründet wird, kritisiert Knuth. Zum einen sind diese Regelungen nicht geschaffen worden, um Gerechtigkeit zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen herzustellen, und sie sind dazu auch grundsätzlich ungeeignet. Eine solche Gerechtigkeit könnte nur darin bestehen, dass die Arbeitslosigkeit gleichzeitig auf alle Teilnehmer des Arbeitsmarktes verteilt wird. Das würde in den Betrieben ein solches Kommen und Gehen erzeugen, dass eine effiziente Produktion nicht mehr möglich wäre. Zum anderen gibt es keinen gesicherten Anhaltspunkt dafür, dass die Chancen von Arbeitslosen verbessert würden.
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