4,1 Milliarden Menschen wählen im Jahr 2024: RSF warnt vor Gewalt gegen Medienschaffende
(Berlin) - Rund die Hälfte der Weltbevölkerung - 4,1 Milliarden Menschen - ist im Jahr 2024 zu Wahlen aufgerufen. Gewählt wird in mehr als 60 Staaten, darunter Russland, die USA, Deutschland und Indien. Um eine fundierte Wahlentscheidung treffen zu können, sind Bürgerinnen und Bürger maßgeblich auf eine unabhängige Berichterstattung angewiesen. Doch in vielen Ländern - vor allem autoritären Regimen - stehen Medienschaffende zunehmend unter Druck. Immer öfter werden sie im Umfeld von Wahlen zum Ziel von Gewalt.
"Rund um Wahlen erreichen uns besonders viele Hilferufe von Journalistinnen und Journalisten, die mit brutalen Mitteln an unabhängiger Berichterstattung gehindert werden", sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. "Medienschaffende müssen besser vor allen Formen von Gewalt geschützt werden. Denn faire Wahlkampf- und Wahlberichterstattung ist essentiell für den demokratischen Prozess. Immer noch werden nur die wenigsten Fälle strafrechtlich geahndet."
Pakistan: Gewalt bei Berichterstattung über den Wahlkampf
Pakistan hat am 8. Februar ein neues Parlament gewählt. RSF verurteilt das repressive Klima gegen Journalistinnen und Journalisten während des Wahlkampfs. Mindestens zehn Medienschaffende wurden von der Polizei oder von Unterstützerinnen und Unterstützern politischer Parteien körperlich angegriffen, während sie über Wahlkampfkundgebungen berichteten. Führende Medien hatten inoffizielle Anweisungen erhalten, nicht über die Partei des inhaftierten ehemaligen Premierministers Imran Khan zu berichten. Mit Verweis auf Sicherheitsbedenken hatte die Regierung am Wahltag landesweit vorübergehend das Mobilfunknetz abgeschaltet. Der Schritt sei laut Innenministerium notwendig, "um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten."
Wahlen in Indonesien: Bedrohungen in der drittgrößten Demokratie der Welt
Am 14. Februar wählten in Indonesien 205 Millionen Menschen ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten. Auch in der drittgrößten Demokratie der Welt wird die Medienfreiheit auf vielfältige Weise bedroht. RSF forderte daher die Kandidaten auf, sich für die Pressefreiheit einzusetzen und entsprechende Reformen anzustoßen. Diese sollten die physische und digitale Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten stärken und den Missbrauch von Verleumdungsprozessen stoppen.
Wahl in Russland: Keine kritische Berichterstattung möglich
In Russland finden vom 15. bis zum 17. März Präsidentenwahlen statt. Kritische Berichterstattung muss Wladimir Putin dabei nicht fürchten: Mehr als 1.000 Medienschaffende haben das Land nach der Ausweitung des Krieges gegen die Ukraine verlassen. Seit Einführung der Militärzensur im März 2022 drohen ihnen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für "Falschnachrichten" über die Armee oder der "Diskreditierung" der Streitkräfte. 28 Journalistinnen und Journalisten sitzen derzeit in Haft. Nahezu alle großen unabhängigen Medienprojekte im Land mussten schließen, unabhängige Nachrichtenseiten werden blockiert. Verbliebenen Medienschaffenden erschwert der Kreml die Berichterstattung über die Wahlen: Ein Gesetz vom November 2023 schließt Journalistinnen und Journalisten ohne gültigen Arbeitsvertrag mit einer Redaktion vom Filmen und Fotografieren in Wahllokalen aus. Somit können unter anderem Freelancer und Medienschaffende, die für verfolgte Exilmedien arbeiten, bei der Auszählung der Stimmen nicht anwesend sein.
Zudem zeigte der Kreml am 3. Februar deutlich, dass Berichte über Proteste unerwünscht sind: An diesem Tag wurden mehr als 20 Medienschaffende vorübergehend festgenommen, die eine Demonstration von Ehefrauen, Müttern und Schwestern in der Ukraine kämpfender Soldaten in Moskau journalistisch begleitet hatten. Wenig später suchten die Sicherheitsbehörden mehrere Journalisten zu Hause auf, um sie vor weiterer Berichterstattung über die Proteste zu warnen. Außerdem bereitet der Kreml einen weiteren Schlag gegen unabhängige Medienschaffende vor: Seit dem 7. Februar liegt Putin ein Gesetz zur Unterschrift vor, das Enteignungen unter anderem bei Verstößen gegen die Militärzensur ermöglicht. Dieser Vorwurf wird oft gegen Medienschaffende gerichtet.
Parlamentswahl in Indien: Hetzkampagnen gegen kritische Berichte
Im April und Mai 2024 wählt Indien ein neues Parlament. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt das Land inzwischen Platz 161 von 180 Staaten. Medienschaffende erleben Polizeigewalt, Angriffe von politischen Aktivisten, kriminellen Gruppen und korrupten Lokalpolitikern. Mindestens zehn Journalistinnen und Journalisten sitzen im Gefängnis. Die Übernahmen von Medien durch reiche Geschäftsleute, die Premierminister Narendra Modi nahestehen, gefährden den Pluralismus. Gleichzeitig verfügt Modi über eine Armee an Unterstützerinnen und Unterstützern, die regierungskritische Berichte im Netz aufspüren und Hetzkampagnen organisieren. Dies treibt viele Journalistinnen und Journalisten in die Selbstzensur.
Mexiko: Wahl in einem der gefährlichsten Länder für Medienschaffende
In Mexiko findet am 2. Juni die Präsidentschaftswahl statt. Gewalt gegen Medienschaffende ist bislang kein zentrales Wahlkampfthema - und das, obwohl in Mexiko Jahr für Jahr mehr Journalistinnen und Journalisten getötet werden als in jedem anderen Land, in dem kein Krieg herrscht. Unter Präsident Andrés Manuel López Obrador hat sich die Situation sogar noch zugespitzt: 37 Medienschaffende wurden seit seinem Amtsantritt im Dezember 2018 wegen ihrer Arbeit ermordet, sechs verschwanden spurlos. Hinter den Taten werden Drogenkartelle und die organisierte Kriminalität vermutet.
Verunglimpfungen von Medienschaffenden durch Vertreterinnen und Vertreter des Staates sind alltäglich und verstärken das Klima der Gewalt zusätzlich. RSF fordert die Präsidentschaftskandidatinnen auf, vor allem die beiden größten Probleme - den Schutz von Journalistinnen und Journalisten und Bekämpfung der Straflosigkeit - ganz oben auf ihre Agenda zu setzen.
Deutschland: AfD mit pressefeindlichen Tendenzen im Aufwind
Auch in Deutschland sind die Menschen aufgerufen, ihre politischen Vertreterinnen und Vertreter zu bestimmen. Anfang Juni wird das neue Europaparlament gewählt, im Herbst stehen die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (1. September) sowie in Brandenburg (22. September) an. Hier entscheidet sich, ob mit der AfD eine Partei mit stark pressefeindlicher Ausrichtung möglicherweise in Regierungsverantwortung kommt. Nach den Enthüllungen von Correctiv über die Beteiligung von AfD-Mitgliedern an einem Treffen in Potsdam, bei dem offenbar Pläne für die massenweise Ausweisung von Migrantinnen und Migranten mit oder ohne deutschen Pass erörtert wurden, hetzen Mitglieder der Partei öffentlich gegen Medienschaffende der Rechercheplattform.
Präsidentschaftswahl in den USA: Richtungsweisend für Demokratie und Pressefreiheit
Das Ergebnis der im November anstehenden US-Präsidentschaftswahl wird die Lage der Pressefreiheit in den USA die kommenden vier Jahre beeinflussen. Der Mann oder die Frau im Weißen Haus kann den Ton vorgeben, der Medienschaffenden in den USA entgegenschlägt, und Regime, die die Pressefreiheit unterdrücken, in die Pflicht nehmen - oder dies unterlassen.
RSF hat die drei verbliebenen wahrscheinlichen Kandidatinnen und Kandidaten auf den Prüfstand gestellt: Donald Trump und Nikki Haley für die Republikaner sowie Joe Biden für die Demokraten. Obwohl die Pressefreiheit in den USA historisch ein hohes Gut ist und Verfassungsrang hat, wurde und wird sie im Wahlkampf von Einigen zur Disposition gestellt. Vor allem im Fall eines möglichen Wahlsieges von Donald Trump fürchtet RSF, dass sich die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten weiter verschlechtern werden. Vor den Wahlen startet RSF einen U.S. State Press Freedom Index, der die Lage der Pressefreiheit in allen Bundesstaaten und Territorien der USA bewertet wird.
Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)
Pressestelle
Postfach 30 41 08, 10756 Berlin
Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29