Pressemitteilung | BGA - Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen e.V.

Verkehrspolitik zwischen Pandemiebewältigung und Dekarbonisierung

(Berlin) - Statement von Carsten Taucke (CEO Nagel-Group), Vorsitzender des BGA-Verkehrsausschusses und Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA):

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Industrie- und Handelsunternehmen stehen derzeit vor immensen Herausforderungen. Wir müssen aufpassen, dass gerade die mittelständischen Betriebe nicht von den Auswirkungen der Corona-Pandemie zerrissen werden oder auf dem steinigen Weg zur vollständigen Dekarbonisierung des Verkehrssektors auf der Strecke bleiben.

Keine Frage: Das Jahr 2021 steht zunächst ganz im Zeichen der Bewältigung der Corona-Krise. Große Probleme beim Transport auf dem Seeweg werden unsere Unternehmen auch in den kommenden Monaten unter Druck setzen. Der Kapazitätsabbau in der Linienschifffahrt verschärft das ohnehin bestehende Ungleichgewicht angesichts der eingeschränkten Verfügbarkeit von Containern. Als Folge von pandemiebedingten Produktionsstopps und Werkschließungen lagern immer mehr Container am falschen Ort und stehen für die benötigten Routen nicht mehr zur Verfügung. Hieraus resultiert eine anhaltende mangelnde Verfügbarkeit von 20- und 40-Fuß-Containern,insbesondere in den asiatischen Häfen. Während die Frachtraten steigen, werden auch die Wartezeiten immer länger. Dies hat zur Folge, dass bestehende Kontrakte nicht mehr eingehalten werden können. Die Linienverkehre der großen Reedereien sind derzeit mit enormen Unsicherheiten behaftet.

Immer wieder wird angemeldete Fracht nicht mitgenommen und kommt nicht rechtzeitig an.Wenn dann noch unvorhersehbare Ereignisse, wie die Havarie der Ever Given im Suezkanal oder die temporäre Schließung des südchinesischen Hafens Yantian, hinzukommen, sind Lieferengpässe unvermeidbar. Darüber hinaus sind die Frachtkosten pro Seefrachtcontainer heute gegenüber der Vorkrisenzeit bis zu 10-mal höher und liegen bei rund 8.000 bis 12.000 USD. Häufig bekommt man Transporte nur noch für sogenannte Priority-Raten, die dann noch einmal um ca. 2.000 USD höher liegen. Zu diesen Preisen ist es in einigen Bereichen kaum noch möglich, die Ware kostendeckend zu verschiffen. Für eine Besserung ist es unerlässlich, dass die Reedereien, die wohlgemerkt durch die Krise Milliardengewinne einfahren, fair mit ihren Kunden umgehen und einen möglichen Wettbewerbsvorteil nicht einseitig ausnutzen. Aus dem Markt ist zu hören, dass die Situation mindestens noch bis zum ersten Quartal 2022 andauert. Insgesamt ist auch abseits der Seefracht ein enormer Preisanstieg bei den Transportkosten zu beobachten. Aufgrund knapper Kapazitäten auf der Straße, machten sie alleine im Juli einen Sprung um über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr und lagen nur noch gering unter dem Dreijahreshoch im Juni.

Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Die Verkehrsleistung wird auch noch in den kommenden Jahren weiter erheblich zunehmen. Der Bundesverkehrswegeplan geht bis 2030 von einem Wachstum im Güterverkehr um 38 Prozent aus. Haupttreiber dieser Entwicklung sind eine deutliche Zunahme des grenzüberschreitenden Verkehrs und des Online-Handels.Der Hauptträger des gesamten Transportaufkommens wird trotz Bemühungen um Verkehrsverlagerung auch in den kommenden Jahren die Straße sein. Die Verflechtungsprognose des Bundesverkehrsministeriums, die dem Bundesverkehrswegeplan zugrunde liegt, geht davon aus, dass 2030 rund 84 Prozent des gesamten Transportaufkommens auf der Straße erbracht wird.Um diesen dramatischen Güterverkehr bewältigen zu können, muss Deutschland nun zügig seine Hausaufgaben machen. Die Gründung der Autobahn GmbH war ein notwendiger Schritt, um die anfallenden Aufgaben von Planung, Bau, Erhaltung und Finanzierung der Bundesautobahnen zu bündeln. Der BGA hat in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, dass die Auftragsverwaltung der Länder beiBau und Betrieb der Bundesfernstraßen nicht klappt.

Die hinreichende Bedingung wurde aber nicht erfüllt, denn der Start zu Beginn dieses Jahres verlief mehr als holprig. Neben IT-Problemen, Personalmangel und unbeglichenen Rechnungen stiegen auch die Reformkosten auf das Dreifache des Geplanten an. An dem schlechten Baustellenmanagement, das bundesweit unzählige kilometerlange Baustellen verursacht und regelmäßig den Verkehr lahmlegt, hat sich nichts geändert. Nach Analyse der ADAC Verkehrsdatenbank bildeten sich im Vorkrisenjahr 2019 auf Deutschlands Autobahnen rund 679.000 Kilometer Stau. Für ganz bitteren Beigeschmack sorgt, dass unsere Lkw-Fahrer, während sie im Stau stehen,immer wieder erleben, dass viele der aufgebauten Baustellen nicht einmal in Betrieb sind oder häufig bereits fertiggestellte Teilstücke nicht freigegeben werden.

Kurzum: Jeder, der beispielsweise in diesen Tagen durch NRW fährt, sieht: So kann es nicht weitergehen! Um die Staus auf den deutschen Autobahnen zu verringern, ist nun vor allem die Autobahngesellschaft gefordert. Die Anzahl der Fahrspuren in Baustellen muss aufrechterhalten und die Bauzeiten reduziert werden. An vielen Baustellen ruht darüber hinaus die Arbeit viel zu lange. Ferner muss die Koordination zwischen der Autobahngesellschaft und den Ländern, die für die Landes- und Kreisstraßen als Ausweichstrecken zuständig sind, verbessert werden. Häufig wird zeitgleich zu den Baustellen auf der Autobahn auch auf den Ausweichstrecken gebaut, was das bestehende Chaos weiter verschärft. Schließlich geht es doch immer um die reibungslose Warenversorgung von Bürgern und Unternehmen.Meine sehr geehrten Damen und Herren,auch abseits der Straße wartet noch immer eine Menge Arbeit. Für die Unternehmen des Groß- und Außenhandels, die in Deutschland rund 60 Prozent der Güterverkehre veranlassen, ist und bleibt die Straße von zentraler Bedeutung. Waren und Güter werden auf diesem Wege noch immer am schnellsten, planbarsten und kostengünstigsten transportiert. Es gibt jedoch auch Großhandelsbranchen, die lieber die Schiene als die Straße nutzen würden. Damit die Kunden die Bahn nutzen, muss diese planbarer und zuverlässiger werden.Um dies zu erreichen, muss zunächst dringend an der maroden Schieneninfrastruktur gearbeitet werden. Das Schienennetz ist nicht nur an vielen Stellen veraltet, seit der Bahnreform 1994 ist es auch um etwa 20 Prozent kürzer geworden. Über 6000 Trassen-Kilometer sind mittlerweile stillgelegt. Für den Großhandel und andere Wirtschaftszweige ist der Transport auf der Schiene derzeit schlichtweg unattraktiv.Bund, Länder und die Deutsche Bahn AG hatten sich 2019 auf Milliardeninvestitionen geeinigt, die die Ausgaben der vorangegangenen Jahre deutlich überschreiten. Mit den geltenden Haushaltsplänen kann die Schrumpfung des Schienennetzes jedoch lediglich gestoppt, nicht aber umgekehrt werden. Hinzukommen die massiven Verzögerungen im internationalen Ausbau des Schienennetzes. Die ausstehende Anbindung beispielsweise des Ceneri- und Gotthard-Basistunnels oder der Betuwe-Linie sorgt nicht nur in der Schweiz und den Niederlanden für Kopfschütteln, sondern auch bei unseren Unternehmen.

Meine Damen und Herren, die Einhaltung von Klimaschutzzielen wird die Verkehrspolitik in Deutschland künftig maßgeblich bestimmen. Der Verkehr soll durch drastische Reglementierungen einen gewichtigen Beitrag leisten, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Bei der Stärkung des Klimaschutzes, die auch der BGA unterstützt, darf nicht vergessen werden, dass dies gerade kleine und mittlere Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Tatsache ist, dass der Güterverkehr schon ganz schön weit ist und über Normen, Euro-VI-Motoren, dieselelektrische Antriebe oder Gas bereits erheblich zum Klimaschutz beiträgt. Und noch viel mehr Emissionen könnten eingespart werden, käme es nicht täglich zu vielen Staus wegen der maroden Infrastruktur hierzulande. Die Unternehmen des Groß- und Außenhandels sowie die unternehmensnahen Dienstleister sind sich ihrer Verantwortung bewusst und bereit, ihren Beitrag für mehr Klimaschutz zu leisten. Dies wird nur mit Technologieoffenheit in der Diskussion um alternative Antriebstechnologien gelingen. Technologieverbote, wie z.B. die Verteufelung von Dieselkraftstoff oder einseitige Bevorzugungen von E-Mobilität, sind nicht zielführend. Im Gegenteil: Der Diesel muss weiterentwickelt werden, um die CO2-Bilanz fortwährend zu verbessern. Die Unternehmen des Groß- und Außenhandels benötigen dringend Planungssicherheit, um sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Um es deutlich zu sagen: Wie soll der Handel rund um die Uhr lebensnotwendige Güter wie z.B. Arznei- und Lebensmittel distribuieren, ohne dass Güterverkehr anfällt? Für die Nutzung alternativer Antriebstechnologien müssen diese entsprechend praktikabel und einsatzbereit zur Verfügung stehen. Derzeit befinden sich die meisten Technologien noch in den Kinderschuhen. Die Tankinfrastruktur muss aufgebaut und um Wasserstofftankstellen sowie E-Ladesäulen, insbesondere Mega-Charger für schwere Lkw, erweitert werden.Die im Rahmen des europäischen Green Deals beabsichtigte Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf Null bis 2050 erhöht den Druck zur schnellen Realisierung von CO2-Einsparungen. Für die Erreichung dieses Ziels sind im Bereich der Mobilität neben neuerAntriebstechnologien und einer Stärkung der Verkehrsträger Bahn und Binnenschiff auch weitere Maßnahmen notwendig, da beides erst mittel- bis längerfristig realisierbar sein wird. Eine schnell wirksame Maßnahme wäre z.B. die Anhebung des zulässigen Lkw-Gesamtgewichts auf das heute im kombinierten Verkehr erlaubte Niveau von 44 Tonnen.

Quelle und Kontaktadresse:
BGA - Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen e.V. Anne Lepski, Pressestelle Am Weidendamm 1a, 10117 Berlin Telefon: (030) 590099521, Fax: (030) 590099539

(sf)

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