Pressemitteilung |

Reform ja, Revolution von oben - nein

(Berlin) - Statement des DBwV-Bundesvorsitzenden Oberst Bernhard Gertz bei der Bundespressekonferenz am 16. Mai 2000 in Berlin:

Die Entscheidung über die künftige Bundeswehr rückt näher. Heute in acht Tagen wird die Zukunftskommission ihre Empfehlungen vorlegen. Der Deutsche BundeswehrVerband betrachtet in diesem Zusammenhang die Modelle mit Sorge, die nicht nur eine Reform, sondern einen System- oder Paradigmenwechsel anstreben. Der Deutsche BundeswehrVerband ist sich mit Minister Scharping darin einig, dass im Interesse der Optimierung der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte tiefgreifende Reformen in Streitkräften und Bundeswehr-Verwaltung notwendig sind. Die Umsetzung des Reformwerkes wird zu tiefgreifenden Belastungen der Soldaten und ihrer Familien führen. Die Soldaten sind jedoch bereit, die Folgen der Umstrukturierung zu tragen, wenn damit Planungssicherheit und zuverlässige Zukunftsperspektiven gewährleistet werden. Wer nicht nur Modernisierung, Rationalisierung und Umstrukturierung erzielen, sondern gleichzeitig – in einer Art „großer Sprung“ – die Wehrform verändern will, überfordert die Menschen in der Bundeswehr.

Nach Artikel 87a des Grundgesetzes stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Artikel 87a lautet nicht: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Konfliktregulierung auf.“ Die Fähigkeit zur Krisenbewältigung ist danach als Derivat der eigentlichen Aufgabe Verteidigung (kollektive Verteidigung einschließlich Landesverteidigung) zu verstehen. Wer Krisenbewältigung fokussiert, riskiert die verfassungsrechtliche Legitimation der Bundeswehr. Wer auf den Begriff der Aufwuchsfähigkeit verzichtet, vermag Wehrpflicht nicht mehr sicherheitspolitisch zu legitimieren. Wer nur noch eine „strukturelle Personalreserve“ benötigt, kann diese aus den ausgeschiedenen Kurzdienern der Freiwilligenarmee rekrutieren. Ein „Schnupper-Wehrdienst“, der vorwiegend Nachwuchsgewinnung erleichtern soll, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Ich halte deshalb diejenigen Vorschläge für konstruktiv, die ein deutliches Bekenntnis zur allgemeinen Wehrpflicht und eine saubere Ableitung der künftig erforderlichen Fähigkeiten der Bundeswehr von der prognostizierten sicherheitspolitischen Risikostruktur aufweisen. Angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage ist die Wehrpflicht durchaus sinnvoll. Es gilt, Vorsorge zu treffen für nicht vorhersehbare Entwicklungen. Die Welt ist voll dynamischer Veränderungen. So lange keine Stabilität in der Russischen Föderation und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion besteht, so lange ist die letzte Möglichkeit einer massiven militärischen Bedrohung nicht ausgeschlossen und so lange muss die Wehrpflichtarmee mit Aufwuchsfähigkeit im Ernstfall aufrecht erhalten werden. Die allgemeine Wehrpflicht garantiert die erforderliche Mobilmachungsfähigkeit, die angesichts der geostrategischen Lage Deutschlands als zentrale Landmacht in Europa bestehen bleiben muss. Diese Aufwuchsfähigkeit und die zeitgerechte Einsatzbereitschaft ist insbesondere in Spannungszeiten ein stabilisierenden Faktor. Schon die bloße Existenz einer solchen Wehrpflichtarmee schreckt potenzielle Erpresser von militärischen Abenteuern ab. Dies gilt heute genauso wie in Zeiten des kalten Krieges. Weil man Wehrpflicht nur sicherheitspolitisch legitimieren kann – nämlich mit der Aufwuchsfähigkeit – muss die inhaltliche Ausgestaltung einer schlüssigen Wehrpflichtkonzeption den Wehrpflichtigen auf seine Inanspruchnahme als Reservist vorbereiten.

Neben der unverzichtbaren sicherheitspolitischen Begründung verfügt die allgemeine Wehrpflicht über eine Reihe bedeutender Vorteile gegenüber der Freiwilligenarmee: Sie verankert die Bundeswehr in unsere Gesellschaft durch ständigen Personalaustausch zwischen Streitkräften und deren zivilem Umfeld. Sie fördert das beständige Interesse von Politik und Öffentlichkeit an den Streitkräften und fordert politische und militärische Führung der Bundeswehr zur ständigen Auseinandersetzung mit unserer Jugend heraus. Wehrpflichtige fördern den Einblick der Öffentlichkeit in Auftrag und Alltag der Streitkräfte. So werden nicht nur Mängel in den Streitkräften für Politik und Öffentlichkeit deutlich.

Die Wehrpflichtarmee ist auch die beste Rückversicherung gegen weltweite Einsätze. Mit der Preisgabe der allgemeinen Wehrpflicht verlöre die Bundeswehr ihren in 45 Jahren herausgebildeten Charakter einer in die Gesellschaft fest integrierten Armee. Die aus allen Schichten des Volkes rekrutierte Wehrpflichtigenarmee ist die intelligentere Armee, in der die Auftragstaktik als Führungsprinzip eine bewährte Tradition besitzt. Von 2.700 Mannschaftsdienstgraden im Kosovo sind 1.600 Soldaten freiwillig längerdienende Wehrdienstleistende. Sie bewältigen ihre schwere Aufgabe vorbildlich. Die Grundidee des Staatsbürgers in Uniform, eines der prägenden Leitlinien der Bundeswehr, basiert auf dem Prinzip der Wehrpflicht. Die Hälfte ihres Regenerationsbedarfes gewinnt die Bundeswehr aus den Reihen der Grundwehrdienstleistenden. Sie sind als Bürger in Uniform die künftigen Vorgesetzten.

In einer Freiwilligenarmee würde sich die Auswahl der militärischen Führer verändern und damit Motivation, Haltung und soziales Klima in der Truppe. Das beweisen die negativen Erfahrungen unserer Bündnispartner, die die Wehrpflicht aufgegeben haben und ihren Nachwuchs im Wesentlichen nur noch aus den Randgruppen der Gesellschaft rekrutieren. Wer das Wehrpflichtprinzip in Frage stellt, schraubt das Bildungsniveau nach unten und rüttelt am Sozialgefüge der Truppe. Der Deutsche BundeswehrVerband tritt wie Bundesverteidigungsminister Scharping nachdrücklich für das Festhalten an einem lebensfähigen Grundwehrdienstmodell als Bestandteil einer schlüssigen Wehrpflichtkonzeption ein. Im Interesse der Soldaten erwarte ich, dass die Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr zu einem von der breiten politischen Mehrheit getragenen Ergebnis führt.

Vor dem Hintergrund unterschiedlichster Modellvorschläge, die in aller Öffentlichkeit ohne jede Rücksicht auf die betroffenen Menschen diskutiert werden, ist die Stimmung der Soldaten und ihrer Familien gekennzeichnet von tiefgreifender Verunsicherung. Die Position der Soldaten ist klar: Sie wollen eine zukunftssichere Bundeswehr mit klaren Laufbahnperspektiven, die Planungssicherheit auch für sie und ihre Familien gewährleistet. Sie wollen vor allem auch die Gewissheit, dass die neue Struktur sozial verträglich eingenommen wird. Die Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften muss spürbar verbessert werden. Dazu gehört auch die unverzügliche Anpassung der Ostbesoldung auf Westniveau. Es ist unabdingbar, gleichzeitig mit einem neuen Strukturmodell auch ein Umsetzungsmodell zu entwickeln. Mit anderen Worten müssen konzeptionelle Instrumentarien entwickelt werden, die von vornherein den sozialverträglichen Abbau von Überhängen sicherstellen. Umsetzungsmodell und weitere Konversionsmaßnahmen gibt es nicht zum Null-Tarif. Ehe Einsparmaßnahmen greifen, ist eine Anschubfinanzierung erforderlich. Das heißt mit anderen Worten, dass neben dem normalen Plafonds in der Umstrukturierungsphase zusätzliche Haushaltsmittel im Einzelplan 14 ausgebracht werden müssen.

In diesem Prozess der Umgestaltung wird sich der DBwV für zukunftsfähige Streitkräfte, die ihren Auftrag angemessen erfüllen können, und für verlässliche Zukunftsperspektiven für die Soldaten und ihre Familien auf der Grundlage sozialer Sicherheit einsetzen. Wir sind uns bewusst, dass auf vielen Feldern gewaltige Probleme zu lösen und erhebliche Widerstände zu überwinden sind. Doch bei der Gestaltung solider Rahmenbedingungen für einsatzbereite Streitkräfte und zur Durchsetzung notwendiger sozialer Reformen dürfen wir uns von niemandem übertreffen lassen.

Quelle und Kontaktadresse:
Pressekontakt: Jürgen Meinberg, Tel. 02 28/ 38 23-12 2; Quelle: DBwV

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