Pressemitteilung | Bundesverband der Freien Berufe e.V. (BFB)

Präsident Dr. Ulrich Oesingmann: Sorge um den Bestand der Freien Berufe / Brief an Roman Prodi und Bundeskanzler Schröder

(Berlin) - Die im Bundesverband organisierten Kammern und Verbände haben sich in einem Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Professor Dr. Romano Prodi, und den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Gerhard Schröder, gewandt. Sie unterstreichen damit ihre Sorge, dass ein wesentliches Element unserer Gesellschaft, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die Freien Berufe und ihre Position durch mehrere in ihrer Wirkung sich aufaddierende einzelgesetzliche Regelungen auf europäischer und nationaler Ebene in ihrem Bestand gefährdet werden. Aus einem "Verschwinden" der Freien Berufe würde sich eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft, unseres rechtsstaatlichen gewohnten Systems mit all seinen Vorzügen und Nachteilen ergeben.

Der Eindruck der Briefunterzeichner ist, dass die Bürger diese Verschiebung nicht oder nicht vollständig zur Kenntnis nehmen oder verstehen und deshalb beruhigt den Dingen ihren Lauf lassen. Sogenannte Sonderrechte der Freien Berufe, also Verschwiegenheit, Vertrauensverhältnis, Zeugnisverweigerungsrecht, die Berechtigung zur wohnortnahen Versorgung auch wohnortnah ihre Praxen zu eröffnen, die Verpflichtung der persönlichen Haftung, sind Bürgerrechte bzw. zum Schutz der Bürger eingerichtet. Es ist deshalb unsere Aufgabe und unsere Pflicht, die Bürger darauf aufmerksam zu machen, wenn sich hier etwas verändert, etwas eingeschränkt wird, etwas abgeschafft wird, und damit sich für den Bürger mittel- und langfristig etwas verändert, dass er mit gutem Grund im Zeitpunkt der Veränderung noch nicht durchschauen kann.

Ein starkes Beispiel sind die vorgeschlagenen Veränderungen durch die EU-Geldwäscherichtlinie, bei denen der Bürger zunächst als nicht kriminelles Element seine Betroffenheit nicht sieht oder die jüngsten Veränderungen beim informationellen Selbstbestimmungsrecht von Patienten gegenüber ihren Krankenkassen. Reaktionen auf frühere Vorstöße in Einzelprojekten, die in dem Brief an die Bundesregierung zusammengefasst worden sind, haben den Freien Berufen lediglich den zynischen Vorwurf eingetragen, wir wehrten uns nur, um uns unsere "Pfründe" zu sichern. Ausdrücklich so wollen wir unsere Kritik nicht verstanden wissen. Hier geht es nicht um Geld, hier geht es nicht um Honorare.

Der Kommunikationswunsch der Freien Berufe gegenüber der Bundesregierung ist kein Machtkampf, sondern Ausdruck unserer tiefen Sorge die Auswirkungen könnten wegen Blickverengung auf die Einzelmaßnahme übersehen werden.

Die Problemliste, richtet sich an die Bundesregierung und die Europäische Kommission gleichermaßen, weil wir die Wechselwirkung zwischen europäischer und nationaler Politik, die Wechselwirkung zwischen Eingriffen auf beiden Ebenen, thematisieren und zum Gegenstand politischer Beobachtung und Entscheidung machen müssen. Diese Art der Betrachtung ist im übrigen nur für den Mittelstand neu.

Konzerne, die Standortentscheidungen treffen, sehen dies schon seit langem so. Standortentscheidungen im Mittelstand sind, dank e-Commerce mit der Möglichkeit auch über große Distanzen verbrauchernah anzubieten, das neue Thema bei Mittelstand und Freien Berufen. Wir befürchten, dass bei Fortschreiten der Verschlechterung der Situation für die kleineren und mittleren Einheiten der Freien Berufe in unserem Lande, zum einen durch Konzentrationsprozesse, zum anderen durch die Steuer- und Sozialpolitik, auch die Frage nach der Wahl des Standortes zunehmendes Gewicht bekommt. Weitere Attraktivität gewinnt die Überlegung des Standortwechsels (Serverwechsel) durch die Bemühungen der EU auf europäischer Ebene das Entsendelandprinzip auch für freiberufliche Leistungsbilder durchzusetzen. Dies wird - nach unserer Einschätzung - zu einer Nivellierung der Standards zu den geringsten Anforderungen hin führen. Die Qualitätssicherung durch unsere Selbstverwaltung geht in den Unterschieden der europäischen Rechtssysteme verloren. Eine Inländerdiskriminierung wäre die Folge.

Die rechts-, wirtschafts- sowie unternehmensberatenden Freiberufler berichten zunehmend vom erhöhten Gewicht der Diskussion um Standortwahl und Vorzüge in Ihren Beratungsgesprächen mit Mittelständlern und Freien Berufen.

Auch 1999 haben die deutschen Freien Berufe wieder insgesamt überproportional zugelegt. Sie haben aber Einbrüche und Gewichtsverschiebungen in der wirtschaftlichen Bedeutung zu verzeichnen. Die Heil- und Gesundheitsberufe, stranguliert durch einen gesetzlich überregulierten Markt, sind sowohl vom Arbeitsplatz- als auch vom Lehrstellenangebot als auch von ihrer Zuwachsrate an den Schluss gerückt, wohingegen die Unternehmensberatungen, EDV-Berufe sowie Steuer- und Rechtsberatung und Teile des Ingenieurwesens nach vorne drängen. Die Freien Berufe sind damit weiterhin ein Eckpfeiler des Mittelstandes in Deutschland und nach unseren Erkenntnissen auch in Europa.

Wir sind bestrebt, den Politikern Entwicklungen, die den Freien Berufe als der Spitze der intelligenten Dienstleistungswirtschaft das Leben schwerer oder sogar unmöglich machen könnten, aufzuzeigen. Auch dies haben wir mit unserem Gesprächsangebot an die Politik erreichen wollen. Auch dies wollen wir mit unserer Kritik an teilweiser Sprach- und Kommunikationslosigkeit aufbrechen und verbessern. Auch hier wollen wir mit unseren Angeboten zu einer neuen Dialogkultur in unserem Land beitragen, um Anregungen und Kritik als Chance für unser Land und nicht als parteipolitisches oder personenbezogenes Missverständnis zu etablieren.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband der Freien Berufe, Reinhardtstraße 34, 10117 Berlin, Postanschrift: Postfach 04 03 20, 10062 Berlin, Tel. 030/ 28 44 44 0, Fax 030/ 28 44 44 40

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