Pressemitteilung | VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Hauptgeschäftsstelle

Antibiotika: Resistenzen und fehlende Wirkstoffe gefährden Versorgung / Neue VDI-Publikation empfiehlt Rückverlagerung der Antibiotika-Produktion nach Europa und Einführung schneller Diagnosetests

(Düsseldorf) - Nicht erst die COVID-19-Pandemie erinnert daran, wie groß die Gefahr durch Infektionskrankheiten ist. Schon seit längerem wirken viele Antibiotika nicht mehr, Bakterien entwickeln zunehmend Resistenzen. Zudem ist die Zahl der neuzugelassenen Präparate stark gesunken. Die Folgen sind dramatisch. Jedes Jahr sterben in der EU geschätzt 33.000 Menschen an Infektionen mit resistenten Keimen. Weltweit liegt die Zahl der jährlichen Todesfälle bei etwa 500.000. Was jetzt konkret getan werden muss, zeigt die neue VDI-Publikation Lebensretter Antibiotika.

"Um mit der Zunahme von Resistenzen Schritt halten zu können, brauchen wir dringend neue Wirkstoffe", sagt Prof. Dr. Jürgen Hemberger, Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Biotechnologie und einer der Autoren der Publikation. "Doch deren Entwicklung ist für die pharmazeutische Industrie aufwendig, kostspielig und nicht so lukrativ wie etwa die Entwicklung von Krebsmedikamenten."

Tatsächlich hat die Zahl der Neuzulassungen in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen und viele Pharmaunternehmen sind in den letzten Jahren ganz aus der Antibiotikaforschung ausgestiegen. Dies hat verschiedene Ursachen. Ein Grund ist die mangelnde wirtschaftliche Attraktivität: Verglichen mit den hohen Entwicklungskosten sind die Aussichten für die Refinanzierung gering, da neue, gegen multiresistente Keime wirkende Antibiotika - richtigerweise, um schneller Resistenzbildung vorzubeugen - als sogenannte Reserve-Antibiotika möglichst selten eingesetzt werden sollen.

Ein sehr großer Teil der Produktion von Antibiotikawirkstoffen findet in Indien und China statt. Nicht zuletzt aufgrund der großen Produktionsvolumina und der niedrigeren Lohnkosten sind die Herstellungskosten dort weit geringer als in Europa. Prof. Hemberger: "Es ist allerdings in der jüngeren Vergangenheit - und zwar schon vor der aktuellen Corona-Krise - wiederholt zu Lieferengpässen aus diesen Ländern gekommen. Daher halten wir im VDI es hinsichtlich der Versorgungssicherheit für absolut wünschenswert, wenn die Produzenten zumindest einen Teil der Herstellung, vor allem von besonders wichtigen Ausgangsstoffen, nach Europa zurückverlagern. Dafür sollten aber auch vernünftige Anreize seitens der Politik geschaffen werden."

Einsatz von Antibiotika reduzieren
Durch den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika - beispielsweise bei nicht bakteriellen Infektionen - können sich Antibiotikaresistenzen vermehrt entwickeln und ausbreiten. Über 90 Prozent der Atemwegsinfekte wie Erkältung, akute Bronchitis oder akute Sinusitis sind viraler Natur. Eine antibiotische Behandlung ist in diesen Fällen nicht wirksam, oftmals mit unangenehmen Nebenwirkungen verbunden und bringt zusätzlich die Gefahr der Resistenzausbreitung mit sich. "Der Einsatz von Antibiotika muss daher sowohl in der Humanmedizin als auch in der Veterinärmedizin auf das medizinisch notwendige Maß reduziert werden", ist sich Hemberger sicher. "Neben einer besseren Aufklärung der Öffentlichkeit sprechen wir uns im VDI für die Entwicklung von Diagnosetests aus, die eine schnelle Unterscheidung zwischen viralen und bakteriellen Infektionen - möglichst direkt in der Arztpraxis - erlauben und unnötige Antibiotikagaben verhindern."

Ausbreitung von Resistenzen verhindern
Resistente Bakterien und Wirkstoffe gelangen vor allem über das Abwasser kommunaler Kläranlagen sowie über Gülle und Gärreste aus Biogasanlagen in die Umwelt. Ein großes Problem: Denn resistente Keime können sich in der Umwelt vermehren und ihre Resistenzgene auf andere, und für den Menschen gefährliche Krankheitserreger, übertragen. Speziell an den genannten Hotspots müssen geeignete Behandlungsmethoden die Ausbreitung von Resistenzen reduzieren. Die Autoren plädieren dafür, dass vor allem die technische Entwicklung von effizienten Verfahren zur Entfernung von Antibiotika in Kläranlagen, Stallungen und bei Biogasanlagen stärker gefördert wird. Außerdem solle bereits bei der Entwicklung neuer Antibiotika auch deren Abbau in der Umwelt mitgedacht werden. Denn je schneller sich ein Wirkstoff in der Umwelt abbaut, desto geringer ist sein Beitrag zur Verbreitung von Resistenzen.


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(ds)

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