Pressemitteilung | Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI)

Aktuelle wirtschaftliche Situation der chemischen Industrie

Ausführungen von Herrn Dr. Hans-Dietrich Winkhaus,

Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie,

vor der Presse in Frankfurt am 7. Oktober 1999



(Frankfurt) - Die chemische Industrie hat die teilweise massiven Auswirkungen der Krisen in Asien und in Rußland auf die Produktion weitgehend überwunden. Als Folge vor allem der Asienkrise war die Chemieproduktion 1998 nach einem guten ersten Halbjahr ab dem 3. Quartal spürbar eingebrochen. Das Produktionsniveau lag im zweiten Halbjahr 1998 fast 7 Prozent unter dem Niveau des ersten Halbjahres. 1999 zog die Produktion dann aber deutlich an und befindet sich jetzt praktisch auf dem Niveau, das vor der Asienkrise bestand. Auf die ersten neun Monate bezogen ist die Produktion in der deutschen Chemie nach unseren eigenen Schätzungen gegenüber den ersten neun Monaten des Vorjahres um ein halbes Prozent gestiegen. Von einer wirklichen Produktionsausweitung zu sprechen wäre jedoch verfrüht, da wir mit diesem Anstieg erst zu alten Positionen aufgeschlossen haben.





Die Produktion hat sich in den einzelnen Sparten sehr unterschiedlich entwickelt. Die Spannbreite reicht von einem moderaten Produktionsanstieg bei konsumnahen Erzeugnissen, bis hin zu einem besonders starken Rückgang der Produktion anorganischer Grundchemikalien.



Stärker als die Produktion belastete die Asienkrise die Preise und damit auch Umsatz und Erträge der Unternehmen. Seit April 1998 gingen die Preise für Chemieerzeugnisse kontinuierlich zurück. Erst im dritten Quartal 1999 haben sich die Preise auf sehr niedrigem Niveau stabilisiert. Im Durchschnitt der ersten neun Monate lagen die Erzeugerpreise rund 2,5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Besonders stark war der Preisrückgang bei Grundstoffen und Chemiefasern.





Die nach wie vor sehr niedrigen Erzeugerpreise sowie der starke Preisanstieg für Rohstoffe - der Rohölpreis hat sich seit Februar auf über 20 Dollar verdoppelt - setzten die Erträge der Unternehmen massiv unter Druck.





Der Chemieumsatz ging aus diesem Grund in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahr nach unseren Schätzungen um 2,5 Prozent auf 140,2 Milliarden Mark zurück. Doppelt so stark sank der Inlandsumsatz: Er lag mit 69,9 Milliarden Mark



5 Prozent unter dem Vorjahreswert. Positive Impulse kommen seit Juni aus dem Ausland. Bis September konnten deshalb im Ausland mit 70,3 Milliarden Mark schon wieder genauso hohe Umsätze erzielt werden wie in den ersten neun Monaten des Vorjahres.





Belebung der Exporte nach Asien



Die Exporte nach Asien, die im vergangenen Jahr regelrecht eingebrochen waren, gewinnen wieder an Dynamik. Die Geschäfte mit den USA laufen weiterhin sehr gut. Die Ausfuhren in unseren größten Markt, Westeuropa, zeigen nach einem schwachen ersten Halbjahr wieder eine positive Tendenz. Die Exporte nach Südamerika sowie nach Mittel- und Osteuropa gingen zurück. Aufgrund der positiven Tendenzen der letzten Monate rechnen wir für das Dreivierteljahr bei den Exporten nur noch mit einem leichten Minus von 0,5 Prozent (93 Milliarden Mark).



An dieser Stelle ist wieder einmal ein Hinweis auf die Feinheiten der Statistik angebracht: Die Zahlen der Chemieexporte decken sich nicht mit den Auslandsumsätzen der Chemieunternehmen, die ich zuvor erwähnt habe. Denn die Exporte enthalten neben den direkten Verkäufen der Chemieunternehmen an ausländische Abnehmer auch noch die Chemieverkäufe anderer Wirtschaftszweige, wie etwa des Chemiehandels, an das Ausland.





Die Importe sind um 1,5 Prozent auf 57,6 Milliarden Mark gestiegen. Das sieht nach einem bescheidenen Zuwachs aus. Aber angesichts der durch die Asienkrise deutlich gesunkenen Importpreise stehen hinter diesen Zahlen erheblich größere Warenmengen und damit ein beträchtlicher Importdruck.





Nach unseren Schätzungen werden die Investitionen in inländische Sachanlagen in diesem Jahr um 3 Prozent auf 14,2 Milliarden Mark ansteigen. Dabei hat nach einer Umfrage des ifo-Instituts die Kapazitätserweiterung als Motiv für Investitionsentscheidungen in der Chemie gegenüber Rationalisierungs- oder Ersatzmotivationen leicht an Gewicht gewonnen. Dies schlägt sich auch in der Entwicklung der Chemiebeschäftigten nieder. Der Beschäftigungsabbau hat sich gegenüber den Vorjahren weiter abgeflacht.





Stabilisierung der Beschäftigung



Im Durchschnitt der ersten neun Monate waren 477.000 Mitarbeiter in den Chemiebetrieben beschäftigt. Das waren zwar rund 1,5 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Aber im Jahresverlauf blieb die Zahl der Mitarbeiter nahezu konstant. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß einige Unternehmen im Zuge der Umstrukturierungen weiterhin Unternehmensteile ausgegliedert haben. Die Beschäftigten dieser ausgegliederten Unternehmensteile werden in der amtlichen Statistik teilweise nicht mehr der Chemiebranche zugeordnet. Dies gilt insbesondere für Arbeitsplätze, die Dienstleistungen für die Chemieunternehmen erbringen.



Die chemische Industrie bezieht immer mehr Dienstleistungen von außen: Logistik, Unternehmensberatung, Umweltberatung, Werbung, Reinigungsdienste sind nur einige Beispiele. Damit schaffen und sichern Chemieunternehmen Arbeitsplätze im Sektor der chemienahen Dienstleistungen. Im Jahr 1998 haben deutsche Chemieunternehmen Dienstleistungen im Wert von über 50 Milliarden Mark als Vorleistungen bezogen. Rund 240.000 Arbeitsplätze in Dienstleistungsunternehmen hängen damit direkt von der chemischen Industrie ab. Das hat eine im Auftrag des VCI erarbeitete Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft ergeben.





Ausblick



Die Stimmung in den Chemieunternehmen ist in jüngerer Zeit zunehmend optimistischer. Laut ifo-Konjunkturtest erwarten die befragten Chemiefirmen in den nächsten Monaten mehrheitlich eine Verbesserung der Geschäftslage. Der Grund liegt überwiegend in gestiegenen Exporterwartungen. Die Weltwirtschaft scheint sich von den Krisen des vergangenen Jahres zu erholen. In Asien gewinnt die wirtschaftliche Entwicklung wieder spürbar an Fahrt. Dies gilt auch für Japan. Allerdings rechnen wir hier noch nicht mit einem nachhaltigen Aufschwung, denn die vorübergehende Belebung ist im wesentlichen auf die Konjunkturprogramme der Regierung zurückzuführen. Auch in den mitteleuropäischen Reformländern hat sich die Produktion belebt. Selbst in Rußland registrieren wir wieder ein Ansteigen der Produktion. Auch im westeuropäischen Ausland, dem wichtigsten Absatzmarkt für deutsche Chemieexporte, mehren sich die Anzeichen, daß die Abschwächungsphase überwunden ist. Lediglich in Italien läßt die konjunkturelle Erholung auf sich warten. Die amerikanische Wirtschaft zeigt sich weiter auf kräftigem Expansionskurs, der sich allerdings im nächsten Jahr abflachen könnte.





Vom Inlandsgeschäft erhält die deutsche Chemieindustrie derzeit noch kaum positive Impulse. Allerdings deutet der deutliche Anstieg der Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe darauf hin, daß es in den nächsten Monaten zu einer Belebung bei unseren inländischen Abnehmerindustrien kommen wird. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dürfte auch die Inlandsnachfrage nach Chemieerzeugnissen spätestens zum Jahreswechsel anziehen.





Die Chemiekonjuktur wird vor diesem Hintergrund bis zum Jahresende weiterhin exportgetragen sein. Insgesamt dürfte die Chemieproduktion in diesem Jahr um gut



2 Prozent wachsen. Allerdings ist dieser Zuwachs wesentlich auf das niedrige Vergleichsniveau im zweiten Halbjahr 1998 zurückzuführen. Eine schneller anspringende Inlandskonjunktur, Vorzieheffekte durch den Jahrtausendwechsel oder eine deutlichere Belebung der Exporte nach Westeuropa könnten das Plus sogar noch etwas höher ausfallen lassen. Im kommenden Jahr wird der Aufschwung der Chemiekonjunktur an Fahrt gewinnen: Neben einem guten Exportgeschäft werden dann auch von der Inlandsnachfrage positive Impulse ausgehen. Die Chemieproduktion wird deshalb im nächsten Jahr nach unserer Einschätzung um mindestens 3 Prozent wachsen.





Eine ganz andere Frage ist, ob die Ertragskraft der Chemieunternehmen bei einer Konjunkturbelebung angemessen wachsen kann. Neben den Rohstoffpreisen, die die Erträge derzeit massiv unter Druck setzen, ist die im internationalen Vergleich außerordentlich hohe Belastung der Unternehmen mit Steuern eine der größten Belastungen für die Ertragskraft der Unternehmen. Sie trägt wesentlich dazu bei, daß die Nettoumsatzrendite wichtiger Wettbewerber, wie etwa in den USA oder in Großbritannien, doppelt so hoch ist wie bei uns. Der Vergleich mit diesen Ländern macht zugleich deutlich, daß zwischen soliden Unternehmensrenditen, geringen Abgabenbelastungen und niedrigen Arbeitslosenquoten ein direkter Zusammenhang besteht.





Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, die Steuersätze für Unternehmen deutlich zu senken. Zwar erklärt die Bundesregierung öffentlich, dieses Ziel zu verfolgen. Umgesetzt worden ist es bisher aber noch nicht. Vielmehr ist die ursprünglich zum Jahr 2000 versprochene Reform der Unternehmensbesteuerung auf das Jahr 2001 verschoben worden. Und dies, obwohl bereits ab Januar 1999 umfangreiche Gegenfinanzierungsmaßnahmen, die die Unternehmen belasten, in Kraft gesetzt wurden.





Nach den zwischenzeitlich bekanntgewordenen Eckwerten dürfte sich auch nach 2001 keine Nettoentlastung der Wirtschaft ergeben. Denn nach diesen Eckwerten würde die Gesamtsteuerbelastung von Unternehmen nicht wie angekündigt auf 35 Prozent, sondern lediglich auf etwa 40 Prozent gesenkt werden. Deutschland hätte dann im internationalen Vergleich immer noch mit die höchsten Ertragsteuersätze. Völlig unklar ist überdies, wie eine entsprechende Senkung der Einkommensteuersätze für Personenunternehmen - das sind der überwiegende Teil unserer Mitgliedsunternehmen - verwirklicht werden soll.





Hinzu kommt, daß die Senkung der Unternehmenssteuern zumindest zum Teil wieder durch zusätzliche Maßnahmen, insbesondere bei der Abschreibung, gegenfinanziert werden soll. Im Endeffekt ergibt sich nach dem derzeitigen Stand der Diskussion aus dem Steuerentlastungsgesetz und der Unternehmenssteuerreform eine deutliche Nettobelastung der Unternehmen.





Ein besonderes Ärgernis in der steuerpolitischen Diskussion sind für mich immer wieder die unterschiedlichen Zahlen für steuerliche Ent- oder Belastungsmaßnahmen. Man stößt stets auf abweichende Millionen und Milliarden - je nachdem, wer die Berechnungen angestellt hat. Nach meinen Erfahrungen rechnet die Politik die Entlastungen immer höher als für die Wirtschaft nachvollziehbar, die Belastungen stets niedriger.





Damit wir eine gemeinsame Ausgangsbasis für Gespräche finden, haben wir das Bundesfinanzministerium gebeten, sich gemeinsam mit BDI und VCI auf verbindliche Berechnungsgrundlagen für die einzelnen steuerpolitischen Maßnahmen und die Gesamtbe- oder -entlastung zu verständigen. Das hat zu einem ersten Gespräch von BDI, IW und VCI mit zahlreichen Beamten des Bundesfinanzministeriums geführt, leider aber bisher ohne ein konkretes Ergebnis. Ein Hauptgrund sind die fehlenden Daten. Für viele wichtige Berechnungsgrundlagen gibt es entweder überhaupt keine - oder wegen des Steuergeheimnisses - nicht öffentlich zugängliche Zahlen und Statistiken.





Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die vom Bundesfinanzministerium angestrebte Änderung der AfA-Tabellen, in denen die Nutzungsdauer der Wirtschaftsgüter festgelegt ist. Nach der Nutzungsdauer richtet sich die Abschreibungshöhe, diese wiederum beeinflußt den Gewinn und damit die Steuerlast.





Für die Anpassung der AfA-Tabellen hat die Bundesregierung eine Mehreinnahme von circa 2,2 Milliarden Mark veranschlagt. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums soll diese Zahl auf einer durchschnittlichen Verlängerung der Abschreibungs-Zeiträume um circa 10 Prozent beruhen. Aber diese Zahl ist unrealistisch. Wie eine erste Durchsicht des Entwurfs ergibt, soll die Nutzungsdauer fast aller Wirtschaftsgüter erheblich verlängert werden, im Durchschnitt um circa 70 Prozent. Nach unseren Schätzungen verursacht eine Verlängerung der AfA-Dauer um 70 Prozent eine Mehrbelastung von etwa 15 - 20 Milliarden Mark. Das ist weit mehr, als das gesamte Sparpaket - einschließlich der Unternehmenssteuerreform - der Wirtschaft an Entlastung bringen sollte.





Allein die Investitionen der chemischen Industrie erreichen in diesem Jahr 14,2 Milliarden Mark. Bei diesem Investitionsvolumen ergäbe sich aufgrund der verlängerten Abschreibungszeiträume pro Jahr eine Steuermehrbelastung der Chemieunternehmen von rund 1 Milliarde Mark: Geld, das für Investitionen und die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen verloren wäre. Insbesondere viele kleine und mittlere Unternehmen müßten wegen mangelnder Innenfinanzierungsspielräume Investitionsvorhaben streichen - mit fatalen Folgen für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Und wieder einmal würde ein Standortnachteil in Deutschland vergrößert, denn die Abschreibungszeiträume sind in anderen wichtigen Industrieländern wesentlich kürzer.





Die Vorgänge um das Inkrafttreten der neuen AfA-Tabellen machen exemplarisch ein Glaubwürdigkeitsdefizit der aktuellen Steuerdebatte deutlich: Das politische Ziel, die Belastung viel zu gering anzugeben, und die tatsächliche Belastung klaffen weit auseinander. Die Regierung verspricht Steuerentlastungen im Rahmen der geplanten Unternehmenssteuerreform. Sie hat die Reform aber bisher weder klar formuliert noch parlamentarisch beschlossen, sondern lediglich das voraussichtliche Inkrafttreten um ein Jahr verschoben. Und jetzt sollen schon wieder Mehrbelastungen eintreten und zwar am Parlament vorbei. Denn für die Änderung der AfA-Tabellen genügt ein Erlaß des Bundesfinanzministers. Diese Art, Steuermehrbelastungen einzuführen, ist nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme für das Projekt Unternehmenssteuerreform.





Neben deutlichen Steuersenkungen brauchen wir vor allem auch eine drastische Vereinfachung unseres Steuerrechts. Der bürokratische Aufwand, den unser kompliziertes Steuerrecht in den Unternehmen verursacht, ist zu einem echten Standortnachteil geworden. Von der Steuerbürokratie besonders getroffen wird dabei der Mittelstand.

Quelle und Kontaktadresse:
VCI Ansprechpartner für die Presse Volker Kalisch, Tel: 069/2556-1476 Manfred Ritz, Tel: 069/2556-1550, e-mail:ritz@vci.de Monika von Zedlitz, Tel: 069/ 2556-1473, e-mail:zedlitz@vci.de

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