Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Belarus - Selbst Propagandisten sind nicht vor Verfolgung sicher

(Berlin) - Strenge Zensur, blockierte Internetseiten, willkürliche Festnahmen: Drei Jahre nach dem Beginn der Massenproteste gegen die gefälschte Präsidentenwahl im August 2020 ist kritischer Journalismus in Belarus kaum noch möglich. Hunderte unabhängige Medienschaffende sind ins Exil geflüchtet. Selbst Mitarbeitende belarussischer Propagandamedien leben gefährlich. Immer wieder entlässt das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko Angestellte staatlicher Sender und steckt selbst ehemalige Mitarbeitende in Haft.
"Das Regime führt in den Staatsmedien eine Säuberungsaktion durch. Wer im geringsten Verdacht auf Illoyalität steht, muss gehen", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). "Mitarbeitende, die sich vom Regime lossagen, müssen mit der Rache des Systems rechnen. Diktator Alexander Lukaschenko misstraut seinem eigenen Propagandaapparat."

Bei der Rundfunkanstalt Gomel im Südosten von Belarus sorgten die Repressionen sogar für akuten Personalmangel: Im Juni suchte die staatliche Sendeanstalt in der Großstadt Gomel neun neue Mitarbeitende - vom Toningenieur beim Radio bis zum TV-Chefredakteur. Grund für den Engpass waren zwei Entlassungswellen: Zuerst verloren im Oktober 2022 drei Moderator*innen des Radiosenders Gomel FM ihre Arbeit. Anlass waren Glückwünsche zum Geburtstag des bekannten russischen Youtubers Juri Dud in einer Livesendung. Mehrere Videos des regierungskritischen Videobloggers sind in Belarus als extremistisch eingestuft. Im Anschluss kam es bei dem zur Sendeanstalt gehörenden Lokal-Fersehsender-Sender Gomel TV zu Säuberungen: fünf weitere Angestellte verloren ihre Arbeit. Unter ihnen befand sich auch ein Journalist, der für seine propagandistischen Beiträge in der Region bekannt ist. Im Januar 2023 bekam der Sender eine neue linientreue Leiterin. Im Mai 2023 rollte die nächste Entlassungswelle an: Wegen angeblicher Verbreitung extremistischer Materialien wurde vier Angestellten gekündigt - darunter eine regimetreue Journalistin, die in Gomel für ihre harsche Kritik unabhängiger Medien bekannt ist.

Mitarbeitenden von staatlichen und Propagandamedien, die sich öffentlich vom Regime abwenden, drohen harte Strafen. Im März 2023 wurde der Journalist Dzmitry Semchanka wegen angeblicher Aufstachelung zu Hass im Messengerdienst Telegram zu drei Jahren Haft verurteilt. Er hatte für den Staatskanal ONT gearbeitet und war lange einer der bekanntesten öffentlichen Fürsprecher des Regimes in Belarus. Mehrere Jahre lang leitete er den sogenannten Präsidentenpool, eine handverlesene Gruppe von Medienschaffenden, die Diktator Alexander Lukaschenko auf dessen Reisen begleiten dürfen. Als Reaktion auf das brutale Vorgehen gegen die Massenproteste im August 2020 hatte Semchanka das Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisiert und seine Stelle gekündigt. Noch härter traf es die Journalistin Kseniya Lutskina, die im September 2022 wegen angeblicher Verschwörung zur Machtergreifung zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. Die Medienschaffende hatte nach den gefälschten Präsidentenwahlen im August 2020 ihre Stelle als Korrespondentin des staatlichen Fernsehsenders Belarus-2 gekündigt und beim Koordinierungsrat der belarussischen Opposition eine Arbeitsgruppe für Informationspolitik geleitet. Andrej Pintschuk, preisgekrönter Regisseur zahlreicher Sportliveübertragungen für die staatliche Rundfunkanstalt Belteleradiokompanija, verlor im März 2023 nach einem Verhör durch den Geheimdienst seinen Arbeitsplatz. Er soll zuvor im vertraulichen Kreis die Politik der Regierung kritisiert haben. Olga Gladka, Managerin beim Staatskanal Belarus 2 wurde im Mai 2023 wegen angeblicher Diskreditierung von Belarus und der Organisation oder Teilnahme an groben Verstößen gegen die öffentliche Ordnung zu drei Jahren Hausarrest verurteilt. Sie hatte ihre Stelle im September 2020 - einen Monat nach dem Beginn der Massenproteste - gekündigt, um in den IT-Sektor zu wechseln.

Nach dem Beginn der Massenproteste im August 2020 demonstrierten 300 Mitarbeitende der staatlichen Rundfunkanstalt Belteleradiokampanija mit einem Streik gegen die Niederschlagung der Proteste. Fast alle wurde entlassen, etwa Hundert weitere Angestellte kündigten ihre Stellen. Diktator Alexander Lukaschenko bat daraufhin in Moskau um Unterstützung. Der Staatssender RT schickte im Herbst 2020 russisches Personal nach Belarus, um den Sendebetrieb der belarussischen Staatskanäle aufrechtzuerhalten.

Seit der Niederschlagung der Proteste sind die meisten kritischen Medienschaffenden aus dem Land geflohen. Etwa 500 belarussische Journalist*innen leben im Exil. 35 Medienschaffende sitzen in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit befindet sich Belarus auf Platz 157 von 180 Staaten.

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF) Pressestelle Postfach 30 41 08, 10756 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

(mw)

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