Pressemitteilung | Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W)

BAG Wohnungslosenhilfe: 860.000 Menschen in 2016 ohne Wohnung / Prognose: 1,2 Millionen Wohnungslose bis 2018

(Berlin) - Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat heute ihre aktuelle Schätzung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vorgelegt: In 2016 waren demnach ca. 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung - seit 2014 ist dies ein Anstieg um ca. 150 Prozent. Die BAG W prognostiziert von 2017 bis 2018 einen weiteren Zuwachs um ca. 350.000 auf dann ca. 1,2 Millionen wohnungslose Menschen. Das wäre eine weitere Steigerung um ca. 40%. Seit dem Jahr 2016 schließt die BAG W in ihre Schätzung die Zahl der wohnungslosen anerkannten Flüchtlinge ein.

Im Jahr 2016 betrug demnach die Zahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug wohnungsloser Flüchtlinge gut 420.000. Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Flüchtlinge schätzt die BAG W auf ca. 440.000 Menschen. Diese zusätzliche Gruppe Wohnungsloser, die im Regelfall weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften geduldet wird, stellt also ca. 50 Prozent aller Wohnungslosen in Deutschland. Wohnungslose Flüchtlinge sind sowohl Nachfragende in den Behelfsunterkünften als auch auf dem Wohnungsmarkt.

"Auch ohne Berücksichtigung der Wohnungslosigkeit von Flüchtlingen müssen wir leider davon ausgehen, dass der Anstieg der Wohnungslosenzahlen zwischen 2015 und 2016 unseren früheren Prognosen entsprochen hat. Die Zuwanderung hat die Gesamtsituation dramatisch verschärft, ist aber keinesfalls alleinige Ursache der neuen Wohnungsnot", erklärte Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG W.

Struktur der Wohnungslosigkeit

Die folgenden Zahlen zur Struktur der Wohnungslosigkeit berücksichtigen nicht die wohnungslosen Flüchtlinge, da für diese Gruppe der Wohnungslosen keine entsprechenden sozio-demografischen Daten verfügbar sind:
Ca. 52.000 Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Seit 2014 (ca. 39.000) ist dies ein Anstieg um 33 Prozent.
Ca. 290.000 (70 Prozent) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, 130.000 (30 Prozent) leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen. Die BAG W schätzt die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8 Prozent (32.000), die der Erwachsenen auf 92 Prozent (390.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 73 Prozent (290.000); der Frauenanteil liegt bei 27 Prozent (100.000) und ist seit 2011 um 3 Prozent gestiegen). (Alle Angaben jeweils ohne Berücksichtigung der wohnungslosen Flüchtlinge.)
Ca. 12 Prozent der Wohnungslosen (ohne Einbezug der wohnungslosen Flüchtlinge) sind EU-Bürgerinnen und -Bürger; das sind ca. 50.000 Menschen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50 Prozent. Wenn also die "Straßenobdachlosigkeit" stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt wird, trifft dies für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu.

Prognose bis 2018: bis zu 1,2 Millionen wohnungslose Menschen in Deutschland

Thomas Specht: "Da nachhaltige und vor allem ausreichende Maßnahmen zur Verbesserung der wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen und zur Wohnungsversorgung aller Wohnungslosen, inklusive der Flüchtlinge ohne Wohnungen, in den Vorjahren nicht eingeleitet worden sind, wird es zu einem weiteren Anstieg der Zahl der wohnungslosen Menschen um 40 Prozent auf knapp 1,2 Millionen bis zum Jahr 2018 kommen."

Wohnungsmangel, hohe Mieten, Verarmung und sozialpolitische Fehlentscheidungen

"Die Zuwanderung wirkt zwar verstärkend, aber die wesentlichen Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit liegen in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit der unzureichenden Armutsbekämpfung", betonte Specht. Mehrere Faktoren seien maßgeblich für den dramatischen Anstieg der Wohnungslosenzahlen. Specht: "Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ist unzureichend, der Sozialwohnungsbestand schrumpft ständig. Seit 1990 ist der Bestand an Sozialwohnungen um ca. 60 Prozent gesunken. 2016 gibt es noch ca. 1,2 Millionen Sozialwohnungen, bis 2020 werden weitere 170.000 aus der Bindung fallen. Zusätzlich haben Kommunen, Bundesländer und der Bund eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft. Damit haben sie Reserven bezahlbaren Wohnraums aus der Hand gegeben."

Darüber hinaus fehlten mindestens 11 Millionen Kleinwohnungen. Dieser Wohnungsmangel bei den Ein- bis Zweizimmerwohnungen habe zu einem extremen Anziehen der Mietpreise, ins. in den Ballungsgebieten geführt. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (16,8 Millionen Menschen) stehe - wie in den Vorjahren - im Jahr 2016 nur ein Angebot von 5,2 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber.

Sofortmaßnahmen für die am Wohnungsmarkt besonders Benachteiligten

"Der Bund muss deutlich mehr Verantwortung in der Wohnungspolitik übernehmen, vor allem auch über das Jahr 2019 hinaus", erklärte Werena Rosenke, stellvertretende Geschäftsführerin der BAG W. Solange stehen bislang den Ländern Kompensationsmittel zur sozialen Wohnraumförderung aus dem Bundeshaushalt zu. Die Gesamtzahl der Wohnungslosen habe eine neue Dimension erreicht. Ohne massive Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen und ohne spezielle Förderprogramme zur Prävention von Wohnungsverlusten und zur Versorgung der aktuell wohnungslosen Menschen mit eigenem Wohnraum, werde sich die Wohnungslosigkeit in den nächsten Jahren nicht reduzieren lassen.

"Wir als Wohnungslosenhilfe wissen: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend: Die Kommunen müssen gezielte Maßnahmen ergreifen, um bereits wohnungslose Haushalte wieder mit eigenen Wohnungen zu versorgen. Quoten für die Vermietung von geförderten Wohnungen an wohnungslose Menschen, aber auch die gezielte Akquirierung von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft zur Versorgung von Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation sind vordringliche Aufgaben", forderte Rosenke. Solche Maßnahmen könnten durch entsprechende Förderprogramme des Bundes und der Bundesländer flankiert werden.

Einzelne Maßnahmen könnten von der kommenden Bundesregierung sofort umgesetzt werden: Bei der Mietschuldenübernahme zum Wohnungserhalt sollte auch im SGB II die Möglichkeit einer Leistungsgewährung als Beihilfe vorgesehen werden. Die Kürzungsmöglichkeit der Kosten von Unterkunft und Heizung im Rahmen der Sanktionierung von Pflichtverletzungen im Sinne des SGB II - bei den Unter-25-Jährigen sogar in verschärfter Form möglich - sind ersatzlos zu streichen. Mit finanzieller Unterstützung des Bundes müssen die Kommunen die ca. 50.000 wohnungslosen Unionsbürger und -bürgerinnen, von denen viele unter elenden Bedingungen ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, menschenwürdig unterbringen und auch die medizinische Versorgung absichern. Die Dienste der Wohnungslosenhilfe dürfen mit diesen Aufgaben nicht alleingelassen werden. "Die Staatseinnahmen wachsen deutlich. Für die Wahlperiode bis 2021 liegen die Einnahmen um 26 Milliarden Euro höher als noch im Mai geschätzt. Ein reiches Land wie Deutschland hat also durchaus die Mittel die Wohnungslosigkeit zu bekämpfen", sagte Rosenke.

Wohnungsgipfel und Nationaler Aktionsplan gefordert

Die Vorsitzende der BAG Wohnungslosenhilfe, Karin Kühn, erklärte: "Wir fordern die Parteien, die die neue Bundesregierung bilden wollen, auf, die Lebenslagen von verarmten und wohnungslosen Menschen endlich zur Kenntnis zu nehmen. Sofort-Maßnahmen gegen den weiteren Anstieg der Wohnungslosigkeit gehören in einen Koalitionsvertrag." Kühn erneuerte auch die BAG W-Forderung nach einer bundeseinheitlichen Wohnungsnotfallstatistik: "Wir erarbeiten regelmäßig die Schätzung zur Zahl der Wohnungslosen, aber die Bundesregierung sehen wir in der Pflicht, endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament einzubringen. Auch die Wohnungsnotfallstatistik ist ein Punkt für die Koalitionsvereinbarung!"

"Wir fordern einen Wohnungsgipfel und einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungsnot. Dafür haben wir schon 2014 ein Konzept vorgelegt. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn sich die Bundeskanzlerin dafür stark machte", sagte Kühn.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. Werena Rosenke, stellv. Geschäftsführerin, Pressesprecherin Boyenstr. 42, 10115 Berlin Telefon: 030 2 84 45 37 0, Fax: 030 2 84 45 37 19

(wl)

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